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362 „Menschenökonomie“ unter Zwang
innen, die durch Ausländer/-innen ersetzt wurden. Mit dem Intensitätsgrad als
Kriterium für den „Arbeitseinsatz“ war auch die Betriebsgröße verknüpft : So
erhielten etwa die Zuckerrübenbauern noch 1944, als sich die Zahl verfügbarer
Zwangsarbeiter/-innen dramatisch verknappte, beträchtliche Zuweisungen an
ausländischen Arbeitskräften ; dagegen wurden den Kleinbauernfamilien über die
Jahre keine Ausländer/-innen zugewiesen. In all dem offenbart sich die regional
und agrarsystemisch ungleiche Gewichtung der amtlichen „Menschenökonomie“ :
Der Militärdienst inländischer und der Zwangsarbeitseinsatz ausländischer Ar-
beitskräfte waren nicht gleichmäßig verteilt, sondern setzten nach Regionen und
Agrarsystemen unterschiedliche Schwerpunkte im Hinblick auf die möglichst effi-
ziente Verwertung des ‚Humankapitals‘.
Folgte der amtliche Zwangsarbeitseinsatz allein dem ökonomischen Maßstab
der Effizienz, oder waren weitere Momente, etwa die nationalsozialistische Rassen-
ideologie, im Spiel ? Das späte Einsetzen des Einsatzes ausländischer Arbeitskräfte
in Auersthal scheint nicht nur mit wirtschaftlichen, sondern auch mit ideologi-
schen Zielen – der Bewahrung des Grenzlandes vor der „Übervölkerung“351 – ver-
einbar. Doch der frühe Zwangsarbeitseinsatz in Heidenreichstein, ebenfalls in ei-
nem Grenzkreis gelegen, widerspricht diesem ideologischen Motiv. Ideologische
Momente des „Ausländereinsatzes“ hatten nicht nur einen Raum-, sondern auch
einen Geschlechterbezug : die angenommene Gefährdung der „deutschen Frau“
durch Ausländer/-innen im Allgemeinen, den „fremdvölkischen Mann“ im Beson-
deren.352 Dieser Logik folgend wäre zu erwarten, dass Betriebe unter weiblicher
Führung in weitaus geringerem Maß ausländische Arbeitskräfte zugewiesen be-
kamen als männlich geführte Betriebe. Diese Annahme traf anfangs in Heiden-
reichstein zu : Bis 1942 waren ausländische Arbeitskräften unter den männlich ge-
führten Betriebe weitaus weiter verbreitet als unter den weiblich geführten. Doch
bereits 1943 übertrafen die mit Leitungsaufgaben betrauten Frauen ihre männ-
lichen Berufskollegen hinsichtlich der Verfügung über Ausländer/-innen, bevor
sich 1944 die entsprechenden Anteile anglichen. Ein leichter Überhang männlich
geführter Betriebe mit ausländischen Arbeitskräften bestand auch in Auersthal
1943, bevor 1944 die weiblich geführten Betriebe vorpreschten. In St. Leonhard
am Forst waren Ausländer/-innen von Anfang an weitaus häufiger auf weiblich
geführten Betrieben anzutreffen ; erst 1944 zogen die männlichen Betriebsleiter
gleich (Tabelle 4.20).
Schränken wir die Beobachtung auf die Kriegsgefangenen und männlichen
Zivilarbeiter nichtdeutscher Nationalität ein, dann wird die Annahme einer ge-
schlechterbezogenen Zuweisung durch die Arbeitsämter nicht nur nicht bestätigt,
sondern sogar durchwegs entkräftet (Tabelle 4.21) : In keiner der drei Gemeinden,
nicht einmal in Heidenreichstein, waren ausländische Männer als Beschäftigte in
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937