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384 Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“
Beide Wortmeldungen, obwohl von unterschiedlichen Fragen ausgehend, ge-
langten zu ähnlichen Antworten. Offenbar waren die Möglichkeiten der Me-
chanisierung des Berg- wie des Kleinbauernhofes nur innerhalb der Grenzen des
reaktionär-modernistischen Technikdiskurses verhandelbar.
Gelehrte Abhandlungen konnten zwar Lösungsansätze des bäuerlichen Tech-
nikproblems aufzeigen ; zu deren Umsetzung bedurfte es jedoch weiterer Mittel :
Sach- und Geldleistungen sowie eines organisatorischen Apparats für deren zweck-
entsprechenden Einsatz. Der Reichsnährstand förderte über diverse Beihilfen Ma-
schinenanschaffungen und weitere technische Investitionen (Tabelle 5.4). Ergän-
zend zu den Reichsnährstandsbeihilfen widmete sich die Landwirtschaftsabteilung
in der Behörde des Reichsstatthalters der Landeskulturförderung, etwa durch den
Bau von Güterwegen, Seilbahnen oder Entwässerungsanlagen.39 Neben den allge-
meinen Organisationen, dem Reichsnährstand und der Behörde des Reichsstatt-
halters, suchten Sondereinrichtungen bestimmte Technisierungsprobleme zu lösen.
Die Lösung des Verschuldungsproblems und des damit verbundenen Berg- und
Kleinbauernproblems im Rahmen der Entschuldungs- und Aufbauaktion oblag den
1938 in jedem Reichsgau eingerichteten Landstellen, die direkt dem REM unter-
standen. Zur Lösung des Bergbauernproblems wurde 1940 eine Unterabteilung im
REM unter der Führung Anton Reinthallers geschaffen, die unter anderem den
„Gemeinschaftsaufbau im Bergland“ als Versuchsstation der technischen Moderni-
sierung der deutschen Landwirtschaft nach dem Krieg organisierte.40
Insgesamt sprechen Agrartechnikdiskurs und -einsatz in der Ostmark im Allge-
meinen, in Niederdonau im Besonderen eine deutliche Sprache : Die landwirtschaft-
liche Technisierung, ein Schlüsselmerkmal produktivistischer Agrarentwicklung,
erfuhr einen beachtlichen Schub. Erstens wurde die Technisierung der Landwirt-
schaft vom Agrarapparat mit erheblichem Mitteleinsatz gefördert ; freilich sollte dies
nicht in fabriksmäßiger Weise, sondern dem „bäuerlichen Wesen“ gemäß
– nicht im
Sinn des high modernism,41 sondern des reactionary modernism – erfolgen. Zweitens
wurde die durchschnittliche Ausstattung der Betriebe mit mechanisch-technischen
Mitteln im Vergleich zum Stand der 1930er Jahre bis 1942/43 erheblich erweitert ;
dies kam gemessen an der Maschinenleistung etwa einer Verdoppelung, gemessen
an der Maschinenzahl, je nach Art, bis zu einer Versechsfachung gleich. Drittens
erfuhren auch die eingesetzten organisch-technischen Mittel wie Mineraldünger
bis 1941 eine beträchtliche Ausweitung auf fast das Dreifache der Mengen von
1937. Nehmen wir den Technisierungsgrad als Modernitätsmaßstab, dann zeigt der
agrartechnische Wandel in der Ostmark und in Niederdonau ab 1938 einen zwar
begrenzten, aber erheblichen Modernisierungsschub. Freilich lässt sich die Debatte
um die nationalsozialistische Agrarmodernisierung42 nicht auf technische Aspekte
reduzieren, sondern bedarf einer umfassenderen Sicht.
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937