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388 Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“
der Entschuldungs- und Aufbauaktion aus der Nähe erkunden.50 Ungeachtet der
wenigen Anträge, die ab Jahresbeginn 1939 als reine Aufbauanträge, etwa im Fall
von Brand-, Flut- oder anderen Katastrophen, eingebracht wurden, verteilte sich
das bis Jahresende 1938 eingebrachte Gros der Anträge unterschiedlich auf die
Gemeinden. Die Anteile der Antragstellungen an allen land- und forstwirtschaft-
lichen Betrieben betrugen in Auersthal 10 Prozent, in Frankenfels 28 Prozent, in
Heidenreichstein 21 Prozent und in St. Leonhard am Forst 18 Prozent. Da bis zu
zwei Drittel der Anträge später teils von den Antragstellenden zurückgezogen,
teils von der Landstelle abgelehnt wurden, beliefen die sich Anteile der Genehmi-
gungen in Auersthal auf 4 Prozent, in Frankenfels auf 17 Prozent, in Heidenreich-
stein auf 6 Prozent und in St. Leonhard am Forst auf 10 Prozent (Tabelle 5.5). Das
untere und obere Extrem hinsichtlich der Beteiligung an der Entschuldungs- und
Aufbauaktion markierten die Marchfeld- und die Voralpengemeinde ; dazwischen
rangierten die Waldviertel- und die Alpenvorlandgemeinde.
Nicht nur zwischen den Gemeinden, sondern auch zwischen den Betriebsgrö-
ßengruppen derselben Gemeinde bestanden erhebliche Unterschiede hinsichtlich
der Verteilung der Antragstellungen und Genehmigungen. Unter den Auersthaler
Getreide-, Hackfrucht- und Weinbauwirtschaften sowie den Heidenreichsteiner
Futter- und Hackfruchtwirtschaften betrafen die meisten Anträge Betriebe unter
fünf Hektar Fläche. Dagegen bezog sich das Gros der Anträge unter den Fran-
kenfelser Grünlandwirtschaften auf Betriebe zwischen 20 und 100 Hektar Fläche.
Ziemlich ausgeglichen verteilten sich die Anträge unter den Futter-, Getreide- und
Hackfruchtwirtschaften in St. Leonhard am Forst auf die Betriebsgrößengrup-
pen unter 20 Hektar. Trotz dieser Unterschiede fällt als Gemeinsamkeit der vier
Gemeinden auf, dass sich das Zahlenverhältnis zwischen zurückgezogenen und
abgelehnten Anträgen einerseits und Genehmigungen andererseits mit steigen-
der Betriebsgröße von Ersteren zu Letzteren verlagerte. Grob gesprochen, je mehr
Fläche die Antragsteller/-innen bewirtschafteten, umso häufiger wurde der Antrag
genehmigt. Offenbar wirkte die Aktion für kleinere Betriebe
– unter fünf Hektar in
Auersthal und St. Leonhard am Forst, unter zehn Hektar in Frankenfels und Hei-
denreichstein – eher ausschließend, für mittlere und größere Betriebe – wobei die
Untergrenze je nach Gemeinde bei fünf oder zehn Hektar lag
– eher einschließend.
Dieser Ein- und Ausschlussmechanismus zeigte in allen vier Agrarsystemen Wir-
kung ; er liefert eine Begründung für die unterschiedlichen Genehmigungsraten in
den Gemeinden : In Auersthal, wo mehr als zwei Drittel der Anträge für Betriebe
unter fünf Hektar gestellt wurden, fiel die Rate der Genehmigungen um drei Vier-
tel geringer aus als in Frankenfels, wo ein fast ebenso großer Anteil an Anträgen
Betriebe zwischen 20 und 100 Hektar Fläche betraf. Freilich gilt die Betriebsfläche
als Maßstab der Betriebsgröße nur innerhalb derselben Gemeinde ; zwischen den
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937