Seite - 410 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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410 Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“
übertragen und nicht zum Zug gekommene Anspruchsberechtigte finanziell ent-
schädigt. Sinngemäß äußerte sich ein Gutachter der Landstelle über die Ursachen
der Verschuldung eines Betriebes im AGB Mank : „Der Besitzer hat in die Wirt-
schaft eingeheiratet. Durch zu großzügige Abfindung der Geschwister der Frau
wurde die Verschuldung der Wirtschaft verursacht.“99 In den letzteren Gemeinden
begünstigte die Gemengelage die Abfindung weichender Erben und Erbinnen mit
Weingarten- oder Ackerparzellen – zum Missfallen der Erbhofgerichtsbarkeit.100
Neben den Erbansprüchen der Berechtigten lasteten, vor allem in Heidenreich-
stein, teils erhebliche Restkaufgelder auf dem Besitz. An Steuerschulden hatten
die Bergbauern und -bäuerinnen in Frankenfels am schwersten zu tragen ; dies
kann wohl als Anzeichen der Krise der Gebirgslandwirtschaft in den 1930er Jahren
gelesen werden.101
Die NS-Propaganda deutete die bäuerliche Verschuldung in Niederdonau als
Symptom dafür, „was frühere Jahrzehnte und Jahrhunderte an dem Bauerntum
und der Landwirtschaft gesündigt haben“.102 Können wir, wie dies die National-
sozialisten versuchten, aus den Schuldenständen auf das Ausmaß der Agrarkrise
in der „Systemzeit“ schließen ? Manche Schuldenposten eignen sich kaum für ei-
nen solchen Schluss, etwa die offenen Rechnungen von Händlern, Handwerkern
und Freiberuflern ; solche Forderungen beglichen die Bauern- und Kleinhäusler-
familien gewohnheitsmäßig nicht laufend, sondern meist erst zum Jahreswech-
sel. Hinter Kauf- und Erbschulden konnten sich wirtschaftliche Schwierigkeiten
verbergen ; ursächlich waren sie jedoch nicht dafür. Der größte Schuldenbrocken,
Anmerkung : Die Betriebe sind nach der Kulturfläche vom kleinsten bis zum größten aufgereiht. Der
Betrieb Leopold Leitners in Frankenfels ist durch einen Rahmen um die Flächenangabe bezeichnet.
Quelle : eigene Berechnungen (Datenbasis : 102 Betriebe) nach NÖLA, Amt NÖLReg, L.A. VI/12,
Entschuldungsakten, AZ 263 (Auersthal), AZ 337 (Heidenreichstein), AZ 909, 912, 925, 928, 931 (St.
Leonhard am Forst), AZ 1378 (Frankenfels).
0
5.000
10.000
15.000
20.000
25.000
Kulturfläche (ha)
St. Leonhard/F. (38 Betriebe)
Steuern und Sonstiges
Besitzübertragung
Waren und Dienste
Bankdarlehen
Privatdarlehen
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937