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468 Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“
Der allgemeine Baustopp für Straßenprojekte vom Mai 1942 und die Sonder-
genehmigung für land- und forstwirtschaftliche Wegebauten in den Alpen- und
Donaureichsgauen vom Juni 1942, wonach durch Naturkatastrophen notwendige
oder bereits begonnene Projekte in der arbeitsärmeren Zeit ausschließlich mit be-
triebseigenen Arbeitskräften und vor Ort vorhandenen Rohstoffen durchgeführt
werden konnten,249 schuf eine für den Kriegsgefangeneneinsatz ernste Problem-
lage : Einerseits durften keinesfalls in Sammellagern untergebrachte, sondern nur
in den Betrieben der Interessenten beschäftigte Kriegsgefangene für Straßenbau-
arbeiten eingesetzt werden ; andererseits standen dem Kriegsgefangeneneinsatz
in den verstreuten Bauernbetrieben, die zudem ausländische Zivilarbeiter/-innen
diverser nationaler Herkunft beschäftigten, die Sicherheitsvorschriften der Wehr-
macht entgegen. In einer „Reihe von langwierigen und unangenehmen Rück-
sprachen“ mit Wehrmacht, Arbeitsamt und anderen Behörden einigten sich die
Beteiligten auf folgende Regelung : Sowjetische Kriegsgefangene durften nur auf
Höfen, wo ein „deutscher Mann“ als Hilfswachmann verpflichtet werden konnte
und keine Kriegsgefangenen anderer Nationalität im Einsatz standen, beschäftigt
werden ; in den Katastralgemeinden, in denen gefangene Rotarmisten im Einsatz
standen, durften keine sowjetischen Zivilarbeiter/-innen beschäftigt werden ; die
sowjetischen Kriegsgefangenen arbeiteten in den bäuerlichen Betrieben, die sie
fallweise der Agrarbezirksbehörde für den Güterwegebau zur Verfügung stellten ;
auf dem Weg vom und zum Lager mussten Wachorgane die Sowjetgefangenen
begleiten.250
Diese Regelung ermöglichte den flexiblen Einsatz der Kriegsgefangenen für
landwirtschaftliche und, trotz des Speer-Erlasses, auch für Straßenbauarbeiten ;
über diesbezügliche Erfahrungen der Dienstgeber/-innen berichtete der örtliche
Gendarmerieposten :
„Durch die Einstellung des Strassenbaues wurden die im hiesigen Lager untergebrach-
ten sowjet-russischen Kriegsgefangenen zu anderen Arbeitsleistungen herangezogen,
insbesondere in der Landwirtschaft, und sind die Arbeitsgeber mit ihren Arbeitsleis-
tungen sehr zufrieden. Vielfach wird der Wunsch geäußert, diese sowjet-russischen
Kriegsgefangenen für die polnischen Zivilarbeiter umzutauschen, da erstere fleissiger,
arbeitswilliger und folgsamer sind. Die Verordnung, dass die Kriegsgefangenen vom
und zum Arbeitsplatz begleitet werden müssen, erschwert den Höhenbauern, die diese
am dringendsten benötigen würden, deren Einstellung, da dadurch die einzige männli-
che Arbeitskraft einen Arbeitszeitverlust von einigen Stunden haben würde.“251
Wenn Brauner den „reibungslosen Einsatz der Kriegsgefangenen auf den Betrieben
trotz der grossen Entfernung vom Lager“252 zu den Erfolgen seiner Amtsführung
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937