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504 Das „Landvolk“ und seine Meister
forstliche Versuchswesen in der Ostmark ; zudem oblagen ihr die forstliche Samen-
prüfung und die Forstberatung.44 Im tierhalterischen, -züchterischen und -gesund-
heitlichen Bereich waren 29 Einrichtungen, großteils Institute der Tierärztlichen
Hochschule in Wien, registriert.45 Schließlich umfasste der Bereich „Verarbeitung
und Verwertung landwirtschaftlicher Erzeugnisse“ neun Einrichtungen.46 Neben
den Wiener Standorten – darunter die 1897 gegründete, mit der amtlichen Le-
bensmittelkontrolle in Wien, Nieder- und Oberdonau beauftragte Staatliche An-
stalt für Lebensmitteluntersuchung unter der Leitung von Josef Gangl47
– bestand
auf dem Gebiet Niederdonaus die 1929 eingerichtete Staats-Lehr- und Versuchs-
anstalt für Milchwirtschaft in Wolfpassing unter der Leitung von Hans Marschall.
Schwerpunkte waren die Milchwirtschaft der Gebirgsregionen und die Butterer-
zeugung, weiters Untersuchungen, Beratungen und Lehrgänge.48
Innerhalb des agronomischen Expertensystems hatten die Forschungsstätten
die Aufgabe, für die Produktion von Fachwissen Sorge zu tragen ; die Distribution
an die Konsumenten des Expertenwissens – die bäuerlichen Betriebsleiter/-innen
und deren Nachkommen – oblag dem ländlichen Bildungs- und Beratungswesen.
Land- und forstwirtschaftliche Aus- und Fortbildung sowie Beratung waren wie
das agronomische Expertensystem Teil der institutionellen Matrix der sich seit
Ausgang des 19. Jahrhunderts formierenden Wissensgesellschaft im Agrarbereich.
Das landwirtschaftliche Schulwesen umfasste, neben einigen Sonderformen, vor
allem Bauernschulen und landwirtschaftliche Fachschulen. „Landwirtschaftliche
Fachschulen unterrichten, Bauernschulen erziehen [Hervorhebungen im Origi-
nal]“,49 lautete die einprägsame Formel. Die Trennung nach Bauernschulen und
landwirtschaftlichen Fachschulen folgte der ideologischen Unterscheidung des
wertrational geprägten „Bauern“ und des zweckrational geleiteten „Landwirts“ :
Erstere entwarfen Landwirtschaft als Berufung, Letztere als Beruf. Im Zusammen-
hang mit der bäuerlichen Erziehungsaufgabe erstellte Hans Bach,50 Absolvent der
Wiener Hochschule für Bodenkultur und Lehrender an der Bauernschule Ehren-
egg in Kärnten, für die Landesbauernschaften der Ostmark einen „Behelf für die
weltanschauliche Schulung des Bauerntums“ mit dem Titel Vom Dorf zum Volk.
Darin umriss er den „Neuaufbau des Bauerntums“ durch die Bauernschule : 51
„Das Wirken von Partei und Staat kann aber nur dann Erfolg haben, wenn der Bauer
selbst seine völkischen Aufgaben erkennt und sich für diese ganz einsetzt. Ohne die
Schollenverbundenheit aufzugeben, muß sich der Bauer hineinstellen in den großen
Zusammenhang des völkischen Lebens. Über die Grenzen des Hofes und Dorfes
hinaus soll der Bauer das ganze Volk und den ganzen Staat sehen lernen. Er muß sein
bäuerliches Dasein begreifen, nicht nur als Kampf um die Existenz seines Hofes und
seiner Familie, sondern zugleich als völkische Aufgabe.“52
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937