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510 Das „Landvolk“ und seine Meister
ortbezogenen Preisen durch die Agrarpolitik gesellschaftlich gemacht. Die land-
wirtschaftlichen „Betriebsführer“ seien unter diesen Bedingungen bestrebt, ihre
Betriebe bestmöglich an die Natur- und Preisverhältnisse anzupassen. Aufgabe
der Agrarpolitik sei es, die variablen Bedingungen an die fixen bestmöglich anzu-
passen, „indem die Agrarpolitik im Wege der Gestaltung der landwirtschaftlichen Preise
den herrschenden Naturgegebenheiten weitmöglich Rechnung trägt [Hervorhebung im
Original]“. Aus diesem Modell leitete der Autor eine zwischen Betriebsinhaber/-
innen und „agrarpolitischem Apparat“ geteilte Betriebsführerschaft ab – und
rechtfertigte darüber die staatliche Steuerung des Agrarsektors :
„Der auf maßgeblichem Posten stehende Agrarpolitiker wird demnach, wenn auch
nur mittelbar, ebenso zum Wirtschaftsorganisator wie es der Leiter des Einzelbetrie-
bes ist, d. h. es teilen sich beide in das schwierige und verantwortungsvolle Arbeitsge-
biet, das sich aus zweckmäßiger Landbewirtschaftung ergibt.“74
Löhrs agrarplanerisches Leitmotiv bildet demnach die Vorstellung, der Staat
müsse in Kooperation mit den Betriebsleitern und -leiterinnen die Vielzahl der
Höfe wie einen Hof führen. Aus dieser Arbeitsteilung leitet er die wechselseitigen
Forderungen von Agrarpolitik und Landbau ab :
„Die Agrarpolitik verlangt vom Landbau den restlosen Vollzug aller der Maßnahmen, die
auf eine Steigerung der Bodenerträge und Viehhaltungsleistungen abzielen. Gerade jetzt in
der Kriegswirtschaft hat dieses auf Nahrungsautarkie gerichtete Leistungsmotiv […]
ein besonderes Gewicht erhalten. Der Landbau fordert demgegenüber von der Agrarpo-
litik die Schaffung von tragbaren wirtschaftlichen Erzeugungsbedingungen durch Preise,
die dem aus den naturgegebenen Verhältnissen hergeleiteten Wirtschaftszwang tunlicht
angepaßt sind. Geht die Agrarpolitik über diese Forderung des Landbaues hinweg,
dann kann dieser ohne soziale und ökonomische Einbußen auch nicht die Forderung
der Agrarpolitik nach Steigerung der Roherträge erfüllen. Es entsteht die Gefahr,
daß der Zwang zur Anpassung der Preise die Bauern von der Aufgabe abdrängt, die
Naturbedingungen restlos auszuschöpfen. Im Gefolge davon treten Störungen im
Landgutsorganismus auf, die den Keim für Extensivierung oder Fehlerzeugung legen
[Hervorhebungen im Original].“75
Ebendiese Gefahr sah der Autor im Fall der an das Deutsche Reich angeschlos-
senen Ostmark gegeben : Während im „Altreich“ die Vorteile der „Erzeugungs-
schlacht“ rascher als die aus der parallel laufenden Aufrüstung resultierenden
Nachteile, vor allem die Abwanderung von Landarbeitskräften in die Industrie,
griffen, hoben sich in der Ostmark diese Vor- und Nachteile gegenseitig auf. We-
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937