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517Vordenker
des „Aufbaus“
Die „Eigenart des bäuerlichen Lebens“ werde demnach von Natur, Tradition und
Arbeit bestimmt : „Im Vordergrund dieser Faktoren steht aber die Arbeit, weil sich
in ihr die Einflüsse des Lebensraumes und die Macht der Vergangenheit plastisch
niederschlagen.“90 Die Natur- und Traditionsgebundenheit der bäuerlichen Arbeit
finde ihren Ausdruck im Arbeitsziel :
„Der Bauer strebt weder nach einem Geldüberschuß am Jahresende, noch nach einem
Zuwachs an Vermögen, das nicht in der Wirtschaft selbst verankert ist. Der Jahreser-
folg scheint vielmehr erreicht, wenn es gelungen ist, die Leistungsfähigkeit des Hofes
zu erhalten und den persönlichen Bedarf der Jahresernte anzupassen. Höchstes Ziel
der Arbeit des Bauern bleibt der Bestand des Hofes für die Familie und für die Gene-
ration, die nach ihm kommt.“91
Natur- und traditionsgebunden seien aber auch die Maßstäbe zur Bewertung des
Arbeitsergebnisses. Dementsprechend würden vor allem die sichtbaren Ergebnisse
zählen, während etwa die nach außen hin unsichtbare Hausarbeit der Bäuerin
„nicht die gebührende Wertung“ erhalte. Was auf den ersten Blick als Infragestel-
lung des patriarchalischen Wertekanons erscheinen mag, entpuppt sich letztend-
lich als „Hausfrauisierung“,92 als Festschreibung der Bäuerin auf die Hausarbeit –
entgegen der alltäglichen Präsenz der Frauen in den Ställen und auf der Flur.
Der Autor gestand ein, dass die realen Ausprägungen bäuerlicher Arbeit diesem
Ideal nur selten, etwa bei der „bergbäuerlichen Familienwirtschaft“, nahekamen ;
vor allem in Stadtnähe vermische es sich mit einem „händlerischen Geist“. Diese
grundsätzlichen, bauerntumsideologisch gerahmten Überlegungen waren auf einen
klaren Anwendungszweck bezogen : Es ging darum, den Wirtschaftsberatern und
-beraterinnen die „bäuerliche Mentalität“ verständlich zu machen, um derart das
Vertrauen der Bauern und Bäuerinnen zu gewinnen und schließlich dem Transfer
von Expertenwissen in das bäuerliche Erfahrungswissen zum Erfolg zu verhel-
fen.93 Trotz dieses Zweckbezugs suchte Löhrs Auffassung bäuerlicher Arbeit, die
Fixierung der Wirtschaftsberatung auf betriebswirtschaftliche „Erfolgsbegriffe“ zu
überwinden und auf diese Weise die Logik bäuerlichen Wirtschaftens zu erfas-
sen. Ob die Wirtschaftsberatung nun eher dem ‚härteren‘ Zugang der autoritären
„Menschenführung“ oder eher dem ‚weicheren‘ Ansatz eines aufgeklärten Pater-
nalismus folgte – jedenfalls suchte sie als ein Machtdispositiv des agronomischen
Expertensystems die Kolonialisierung bäuerlicher Alltagswelten voranzutreiben.
In welcher Weise sie die bäuerliche Wissensaneignung zu steuern trachtete, erkun-
den die folgenden Abschnitte an Medien der Massen- und Einzelberatung. Dabei
geht es um Antworten auf die Frage, in welcher Weise die Wirtschaftsberatung
des Reichsnährstandes der bäuerlichen Klientel Ziele und Mittel der geforderten
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937