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zwischen Führung und „Landvolk“ ?
vor allem für die Sportseiten – zum Ärger vieler Erwachsener, die im Sport eine
Ablenkung von der Arbeit im Landwirtschafts- oder Gewerbebetrieb sahen.101
Neben der Presse – und häufig in einem „Medienensemble“102 damit verbun-
den
– bildete der Rundfunk ein weiteres Moment der Medialisierung der ländlichen
Gesellschaft.103 Er gilt aufgrund seiner Reichweite als „das entscheidende neue
Medium der Periode und als Hauptinstrument nationalsozialistischer Medienpo-
litik“.104 Während sich die Provinzblätter durch die Vermittlung lokalen und regi-
onalen Geschehens auszeichneten, versammelte sich vor den Radioapparaten die
imagined community der deutschen Nation.105 Das mediale Ensemble aus Zeitung
und Rundfunk war geeignet, Lokales, Regionales und Nationales zu verschmel-
zen, die Alltagswelt als Metapher für das Konstrukt einer „Volksgemeinschaft“ zu
nutzen.106 Zwar war bereits in der Weimarer Republik der Landwirtschaftsfunk
ausgebaut worden ; doch die Rundfunkdichte auf dem Land blieb bis 1933 noch
äußerst gering. Das änderte sich nach der NS-Machtübernahme, zumindest regio-
nal ; das Radio verlor seinen elitären Charakter. Während im fränkischen Sulzthal
Ende der 1930er Jahre nur 17 Prozent der Haushalte über einen Radioapparat ver-
fügten, waren es im thüringischen Thürungen bereits 54 Prozent. Auch in der Ost-
mark nahm ab 1938, bedingt durch den Kaufkraftzuwachs und die Verbilligung der
Empfangsgeräte, die Zahl der städtischen und ländlichen Rundfunkteilnehmer/-
innen sprunghaft zu ; sie erreichte 1943 ihren Höhepunkt und fiel bis 1945, bedingt
durch zunehmendes Misstrauen gegenüber der NS-Propaganda, deutlich ab.107
Stellt man in Rechnung, dass Radiohören oft in gemeinschaftlichen Zusammen-
hängen – beim Nachbarn, bei Verwandten, im Gasthaus – erfolgte, dann fand der
Rundfunk bereits mehr Hörer/-innen als die Zeitung Leser/-innen. Ebenso wie
die Presse eignete sich die Landbevölkerung auch das Radioprogramm selektiv an :
Alltagsrelevante Inhalte, etwa Musik- und sonstige Unterhaltungssendungen so-
wie Wetterprognosen, aber auch aktuelle Nachrichten zum nationalen Geschehen
wurden am meisten geschätzt. Die Rezeption des Programms orientierte sich an
den materiellen und ideellen Prioritäten der agrarisch-gewerblichen Alltagswelt ;
den Wirkungsmöglichkeiten der Rundfunkpropaganda – sei es im Sinn der agrar-
romantischen „Blut und Boden“-Ideologie, sei es im Sinn der auf Modernisierung
ausgerichteten Leistungsideologie – waren damit gewisse Grenzen gesetzt.108
Zu Presse und Rundfunk trat als drittes Moment der Medialisierung der länd-
lichen Gesellschaft das Kino.109 Kinos bestanden im ländlichen Raum bei der NS-
Machtübernahme vor allem in Kleinstädten und größeren Gemeinden ; doch be-
reits 1934 kümmerten sich 32 Gaufilmstellen um die rund 48.000 Gemeinden ohne
Kinos, indem sie in zwei- bis vierwöchentlichen Abständen mittels Tonfilmwagen
Filmvorführungen anboten. Bis zum Kriegsbeginn gelang es dem NS-Dorfkino da-
mit in einigen Regionen, regelmäßig etwa ein Zehntel der Landbevölkerung zu
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937