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525Bindeglied
zwischen Führung und „Landvolk“ ?
Um diesen Textkorpus zu interpretieren, betrachten wir die einzelnen Begriffe in
ihren wechselseitigen Bezügen, eingebettet in den Diskurs des Wochenblatts als
sinnerzeugendes Geflecht.124 Dabei werden quantitative und qualitative Inhalts-
analysen kombiniert : Erstere liefern Häufigkeiten der Wortgrundformen, die in
einem Jahr oder Quartal gemeinsam – und damit synchron vernetzt – auftraten,
und deren diachrone Veränderungen ; Letztere suchen die Bedeutungen einzelner
Wortverknüpfungen zu dechiffrieren. Die jährlichen Rangreihen der häufigsten
Nennungen in den Überschriften lassen Kontinuität und Wandel im Begriffsin-
ventar des Wochenblatts erkennen (Tabelle 6.3) : Die Subjektposition „Bauer“, Spit-
zenreiter 1938 und 1940, kam danach vergleichsweise seltener zum Einsatz, bis sie
1944 aus der Gruppe der zehn häufigsten Überschriftenbegriffe fiel. Das Attri-
but „deutsch“ zählte Jahr für Jahr zu den drei häufigsten Überschriftenbegriffen ;
zugleich wurden Ostmark- und Österreich-Bezüge ab-, Regionsbezüge (Wien,
Ober- und Niederdonau) aufgewertet. Das Attribut „neu“ stieg nach einem ers-
ten Aufschwung 1939 bis 1943 und 1944 zum dritt- bzw. vierthäufigsten Begriff
auf. Zwei gemeinschaftsstiftende Begriffe, das Personalpronomen „wir“ und das
Possessivpronomen „unser“, sowie das Modalverb „müssen“ erfuhren 1939 eine be-
merkenswerte Konjunktur.
Unterziehen wir, von dieser Übersicht ausgehend, das Begriffsinventar einer
genaueren, auf quartalsweisen Häufigkeiten basierenden Betrachtung (Abbildung
6.4). „Bauer“ diente in den ersten Jahrgängen des Wochenblatts als zentrale Subjekt-
position, mit der die Redaktion die bäuerliche Leserschaft anzusprechen suchte.
In der nationalsozialistischen „Blut und Boden“-Ideologie besetzte der „Bauer“
die positiv gewertete Position des außerökonomischen Tugenden – dem Wohl der
„Sippe“ im Kleinen wie des „Volkes“ im Großen – verpflichteten Hofbesitzers ;
demgegenüber verkörperte der „Landwirt“ den profitorientierten Agrarunterneh-
mer als negativ gewertete Position.125 Das schrittweise Abrücken der Redaktion
von dieser Kommunikationsstrategie signalisiert die zunehmende Abnutzung des
„Bauern“ in der Wahrnehmung der Wochenblatt-Leserschaft ; zudem näherten sich
die Häufigkeiten von „Bauer“ und „Landwirt“ an und waren Anfang 1944 gleich-
auf. Mit den Häufigkeiten veränderten sich auch die Wertigkeiten : Artikelüber-
schriften wie Der staatlich geprüfte Landwirt126 signalisierten eine Aufwertung des
„Landwirts“ gegenüber dem „Bauern“, die sich vor allem an professionelles Wissen
und Können knüpfte. Diese Umwertung als Beleg für die in der Literatur behaup-
tete Abkehr des NS-Regimes von der „Blut und Boden“-Ideologie seit 1942/43
zu werten, wäre überzogen.127 Doch zweifellos wurden im Zuge der Jahr für Jahr
ausgerufenen „Kriegserzeugungsschlachten“ die wirtschaftlichen Leistungen des
„Landwirts“ gegenüber den verblassenden außerökonomischen Tugenden des
„Bauern“ im Diskurs des Wochenblatts akzentuiert.128
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937