Seite - 535 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Bild der Seite - 535 -
Text der Seite - 535 -
535Wirtschaftsberatung
vor Ort
Wirklichkeit der deutschen Agrarpolitik in bemerkenswert offener Weise Probleme
bäuerlichen Wirtschaftens an : „Es ist erst wenige Wochen her, daß wir Erntedank
gehalten haben. Ein Fest an diesem Tage zu feiern, hatten wir Bauern kaum Ursa-
che, denn die Rückschau über das vergangene Jahr bot dafür keine Veranlassung
[Hervorhebung im Original].“167 In den Gebirgsregionen, bei den „Hörndlbauern“,
sei 1940 ein „schlechtes“ Jahr gewesen : Das nasse und kalte Wetter trage Schuld
am schlechten Zustand des Almviehs, das nun wegen der niedrigen Schlachtvieh-
preise die Ställe überfülle ; diese Notlage könne durch die Bergbauernförderung,
ein „Tropfen auf den heißen Stein“, nicht behoben werden. In den Getreidean-
baugebieten, bei den „Körndlbauern“, mussten wegen Auswinterungsschäden die
Wintersaaten im Frühjahr großflächig umgepflügt werden ; die als Ersatz ange-
baute Gerste könne wegen mangelnder Güte kaum als Brau- und Industriegerste
verkauft werden ; zudem seien Kartoffel- und Zuckerrübenernte unterdurch-
schnittlich ausgefallen, ohne dass mit Preiserhöhungen gerechnet werden könne.
Schließlich hätten die Weinbauern eine Missernte – 150.000 statt einer Million
Hektoliter – hinnehmen müssen. Zu diesen besonderen Problemen kämen noch
allgemeine dazu : der Abzug von Arbeitskräften zu Industrie und Wehrmacht, die
Kriegsgefangenen- und andere Ernteeinsätze nur notdürftig ersetzen könnten ; die
drückende Höhe der Ablieferungen an Heu, Hafer, Stroh und Gerste zu unge-
nügenden Preisen ; die wachsenden Außenstände bei Lagerhäusern und anderen
Gläubigern, die eine strikte Standesaufsicht über ihre bäuerlichen Schuldner ver-
langten. Folge all dieser Probleme sei „die Mutlosigkeit, das Verzagtsein, auf das
wir gerade bei den guten Bauern stoßen“ :
„Eine große Gefahr entspringt aus einer solchen Mutlosigkeit : daß nämlich die Bau-
ern alles laufen lassen, daß sie nicht mehr kämpfen ; daß sie auf ihrem Hof nur mehr
das bauen, was sie für sich selbst benötigen. Der damit verbundene Rückgang der
Erzeugung wäre weder innenpolitisch noch außenpolitisch tragbar ; der innere Sinn
des Erbhofes würde dabei zu einer Farce verzerrt werden.“168
Der Landeshauptabteilungsleiter warf in seinem Appell alles, was der nationalso-
zialistischen Agrarpolitik heilig war, in die Waagschale, um den Wirtschaftsbera-
tern die Schwere der Probleme zu verdeutlichen. Er argumentierte dabei mit zwei
Momenten, die – jenseits der Besonderheiten der Landesbauernschaft Donauland
1940 – die Agrarentwicklung allgemein bestimmten. In ökologischer Hinsicht
stand die Landwirtschaft in einer engen Beziehung zur naturalen Umwelt durch
die Standortabhängigkeit der Wahl der Feldfrüchte, die Saisonalität des Arbeitsan-
falls, die witterungs-, krankheits- und schädlingsbedingten Ertragsrisiken und die
Auswirkungen der Landnutzung auf die Bodenfruchtbarkeit.169 In ökonomischer
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937