Seite - 540 - in Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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540 Das „Landvolk“ und seine Meister
Gartenbegehungen, Schädlingsbekämpfungskurse, Landjugendschulungen und so
fort. Die Herausgabe eines Taschenbuches für Wirtschaftsberater habe das „ein-
heitliche Vorgehen der Beratungskräfte“ gewährleistet. Die Zusammenarbeit mit
den Fachleuten des Reichskuratoriums für Technik in der Landwirtschaft, der
Düngemittelindustrie und der Parteidienststellen sei klaglos verlaufen.185
Im Bericht von Hartmann Demal, dem Direktor der Landwirtschaftsschule
und Leiter der Wirtschaftsberatungsstelle der Kreisbauernschaft Melk, beim Be-
ratungslehrgang in Bad Aussee 1940 stellte sich die Wirtschaftsberatung anders als
im amtlichen Leistungsbericht dar. Er maß der Tätigkeit der Hofberater, der Au-
ßenposten der Wirtschaftsberatungsstelle, größte Bedeutung zu : „Von der Lösung
dieser Frage hängt es in Hinkunft ab, ob eine Wirtschaftsberatungsstelle funktio-
niert oder nicht.“186 Den Grund dafür sah er in der Überlastung der Wirtschafts-
beratungsstelle mit Verwaltungstätigkeiten :
„Der innere Dienst : Treibstoffbewirtschaftung, Leder, Holz, Treibriemen, Gummi-
stiefel, Zement, Futtermittellenkung, Ablieferungen an das Heer, Pferdevermittlun-
gen, Hofkarte, Dringlichkeitsscheine für das, für jenes und für alles, Aufarbeitung
der Post, Parteien über Parteien, im Monat 300 bis 600, Milchleistungsausschuß und
monatlich über 20 Berichte (2 Monatsberichte, 2 Kohlenberichte, 4 Erntestandsbe-
richte, 4 Saatenstandsberichte, 1 Pferdebericht, 1 Milchleistungsausschußbericht, 1
Pflanzenschutzbericht, 2 Milchberichte, Benzinbericht, 2 Berichte an das Statistische
Amt). Die Zeit, die nach Erledigung dieser Fragen übrig bleibt, gehört dem Außen-
dienst, der sich wiederum in Versuchen, in verschiedenen Erhebungen und Schätzun-
gen, in Bauberatung, Bauabnahmen, Wiesen- und Weidenberatung bewegt, sodaß für
die wirkliche Wirtschaftsberatung in den meisten Fällen nichts übrig bleibt.“187
Wenn wir dieser Schilderung Glauben schenken – und gleichlautende Klagen über
den „Papierkrieg“ in den Wirtschaftsberatungsstellen sprechen dafür188 –, dann
wird hier ein Flaschenhals im organisierten Fluss des Agrarwissens offenbar : Der
Aufwand der Wirtschaftsberater für Verwaltungstätigkeiten drohte die eigentliche
Wirtschaftsberatung zu lähmen. Zu dieser angebotsseitigen Schwierigkeit kam die
nachfrageseitige, „daß der Bauer das bei einem anderen Bauern Gesehene schneller
versucht, als das in einer Versammlung Gesagte oder von einem Wirtschaftsberater,
den er doch wieder als hoffremd bezeichnet, Geratene“.189 Beide Probleme, die knappe
Zeit der Wirtschaftsberater und das begrenzte Vertrauen ihnen gegenüber, legten die
Auswahl geeigneter Hofberater aus dem Kreis der bäuerlichen Hofbesitzer/-innen
nahe. Doch die Lösung des einen Problems ergab das nächste, nämlich die mangelnde
Verfügbarkeit von „Bauern, die fachlich ganz in Ordnung sind“ :
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937