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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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546 Das „Landvolk“ und seine Meister nicht in der Ostmark auch so vorgegangen werden wie im Altreich, daß jene Gast- wirte, strenge bestraft werden, welche Gäste im stark betrunkenen Zustande, noch zum Weitertrinken veranlassen. In der Ostmark ist’s gewöhnlich so, daß Trinker keine Kinderbeihilfe, keine Winterhilfe, überhaupt wenn sie hilfsbedürftig sind, nichts er- halten. Oberflächlich beurteilt richtig im Grunde aber falsch. Ist der Betroffene ledig und hat für niemand zu sorgen, ist’s richtig ; aber wenn ein Trinker, eine Familie zu versorgen hat, so wirkt sich die Zwangsmaßnahme, im auß allen Hilfsqwellen auß- zuschließen, an ungünstigsten an Frau und Kindern auß. Laut Zeitungsbericht ist die Kinderbeihilfe herabgesetzt, von 3 Kindern an, aber unsere Ämter wissen nichts davon, alle Bemühungen der Gemeinden, der Bürgermeister ist umsonst. Entweder soll die Zeitung nichts schreiben, was nicht wahr ist, oder es sollen sich die ostmärki- schen Herren auf den höheren Ämtern bequemen, daß was ihre Verpflichtungen sind auch durchzuführen. In der Ostmark kann man beobachten, Gemeindeverwaltung und Kreisverwaltung arbeiten sehr tüchtig, aber in den höheren Ämtern fehlts oft weit. Wenn die höheren Ämter jenen Opfermut und jenes eiserne Pflichtbewußtsein hätten wie die Bevölkerung, welche oft Nächte durcharbeiten müssen, Sonn- und Fei- ertagarbeit machen müssen, so wäre gar mancher alter Mißbrauch abgestellt. Für alle Erleichterungen unserer harten Lage bedankend und um Gewährung unseres An- suchen bittend, schließt mit Sieg Heil ! Heil Hitler ! [Schreibfehler im Original]“216 Wir erfahren hier einen der Anlässe dafür, dass Leitner zur Schreibfeder griff : Er kommentierte in seinem Brief Eindrücke, die er aus der Zeitungslektüre ge- wonnen hatte. Der Briefschreiber war dafür bekannt, dass er seinen Kopf stän- dig in Zeitungen oder Bücher steckte217  – und darüber seine Wirtschaftsführung vernachlässigte. Ein derart lesehungriger, pflichtvergessener Hofbesitzer wurde im dörflichen Gerede schnell zum Sonderling abgestempelt ; so kursierte zum Namen von Leitners Hof, Tatzgern, das spöttische Wort : „Tat’s gern und tuat’s do net“  – er sei sich zwar der Notwendigkeit einer Tätigkeit bewusst, führe diese jedoch nicht durch.218 Neben dem Wochenblatt der Landesbauernschaft Donauland zählte die vor- mals christlichsozial ausgerichtete, nunmehr „gleichgeschaltete“ St. Pöltner Zei- tung, eine regionale Wochenzeitung mit ausführlichem Lokalteil, zu den vor Ort reichweitenstärksten Blättern ; vermutlich wurde sie auch auf dem Tatzgern-Hof gelesen. Ein im August 1939 unter der Rubrik Frankenfels erschienener Artikel sorgte in der Gemeinde wohl für einiges Gerede, weit hinaus über den Kreis jener, die das Blatt regelmäßig lasen. Im Lokalteil zog eine Schlagzeile die Blicke auf sich, die einen außergewöhnlichen Artikel ankündigte : I spür nix, daß besser worden is, aber für ein Ei weiß er 10 Pfennig zu verlangen. Außergewöhnlich war, dass in der Zeitung zum ersten Mal vor Ort geäußerter Unmut über Staat und Partei zur Sprache kam. Ein bäuerlicher „Raunzer, auch Meckerer genannt“, habe durch die
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Schlachtfelder
Untertitel
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Autor
Ernst Langthaler
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2016
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Abmessungen
15.5 x 23.5 cm
Seiten
948
Kategorien
Geschichte Nach 1918

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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