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550 Das „Landvolk“ und seine Meister
tete, was er aber nicht können wird. Wir wollen diesen blonden Bauern zurückerin-
nern, wollen sein Gedächtnis ein bisschen aufrütteln, wenn es vielleicht eine kleine
Hemmung erlitten hat und zurückerinnern, was sich in der glorreichen Schuschnigg-
und Dollfuß-Zeit zugetragen hat und die Preise vergleichen von damals und heute.
Du, Meckerer, erinnere dich und weißt du noch, das [sic] deine Eier 6 Groschen = 4
Pfennig gekostet haben, wo du heute 10 Pfennig zu verlangen weißt, weißt du viel-
leicht nimmer, als man auf einem Viehmarkt in Kirchberg fürs Vieh lebend 75 bis 78
Groschen zahlte ? Weißt es vielleicht nimmer, wo man dem Bauern für den Festmeter
Fichtenholz 12 Schilling und für Lärchenholz 16 Schilling zahlte, oder bekommst
du vielleicht für Schweine oder Kälber weniger, obwohl der Mais heute 15 Pfennig
gegenüber damals 28 bis 30 Groschen kostete ? Oder ist der Fruchtpreis tiefer als in
der herrlichen Systemzeit ? Er meckert und meckert, er ist erbost, weil er auch den
Dienstboten und Handwerkern mehr zahlen muß, obwohl er selbst mehr verdient,
soll der andere um einen Schundlohn weiterarbeiten. Diese Unverbesserlichen sollen
nur gut nachrechnen, um wie viele Prozent sie mehr für ihre Produkte bekommen. Es
ist bei Eiern ein Mehrverdienst von 250 Prozent gegenüber früher. Ode haben diese
es schon vergessen, wie sie mit ihrer Butter und ihren Eiern alle Windrichtungen
auslaufen mußten, um sie zu einem Schundpreis absetzen zu können, wogegen sie
heute jedes Dekagramm spielend an den Mann bringen u. nicht in der Lage sind,
soviel zu erzeugen als benötigt wird. Oder haben sie schon vergessen, als noch vor
eineinhalb Jahren Tausende von hungernden Arbeitern unsere Berge durchzogen,
was sie sicherlich nicht zum Vergnügen taten, sie mußten es, um nicht verhungern zu
müssen. Fragen sie bei den Hohbauern oder in den Massinghäusern nach, die wis-
sen es, was sie damals den hungernden Menschen an Lebensmitteln gegeben haben.
Fragen sie die Familie Prammer, die jedem, der bei ihr um ein Stück Brot oder um
warmes Essen angehalten hat, die hat vielleicht noch die Zettel, auf denen sie bei
jedem Wandernden ein Stricherl machten, fragen sie nur, die können sie unterrichten
und sagen, wie hoch die Zahl dieser armen Teufeln war und was sie jährlich diesen
armen Volksgenossen an Lebensmitteln gaben, es macht sicherlich viel, viel mehr
aus als der Mitgliedsbeitrag der NSV. Die Familie dieses Meckerers oder er selbst
wird sicherlich damals, wo so viele Volksgenossen hungerten, keinen Hunger gelitten
haben oder was nicht besser ist, frieren haben müssen. Dieser Unverbesserliche ist
auch einer von denen, der die Nazi als unchristlich hinstellte, wahrscheinlich was das
christlich, als man früher so viele Menschen hungern und verderben ließ, wo die an-
deren und die löblichen Juden in saus und Braus leben konnten. Ansichten und Gus-
tos sind eben verschieden, verschieden auch Christentum und wahres Christentum.
Der Nationalsozialist handelt menschlich und gab auch den Aermsten Arbeit und
Brot. Und noch erlaubt sich solch ein Unverbesserlicher, der auch damals mitzureden
hatte, dem es möglich gewesen wäre, es besser zu machen, zu sagen : ‚I spür nix, daß
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937