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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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551Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ besser ist,‘ dann ist es ihm wahrscheinlich herrlich gegangen und tausendmal besser als den armen hungernden und frierenden Arbeitslosen. Es würde bestimmt nicht schaden, solche Unverbesserliche ein bißchen ins Sanatorium Dachau zu schicken, damit sie ihr Erinnerungsvermögen wieder zurückbekommen und unterscheiden lernen, von heute und damals, damit sie, wenn sie gefragt werden, ehrlich und offen in der Lage sind, zu sagen was wahr ist. Und daß es besser geworden für Bauer und Arbeiter und daß wir wiederum froh und freudig in die Zukunft blicken können, danken wir unserem großen Führer, dem Größten aller Deutschen, unserem Hitler [Hervorhebung im Original].“230 Das Spannungsmoment des Artikels baut sich auf zwischen der teils als „böswil- lig“, teils als pathologisch verunglimpften „Meckerei“ des „Gebirgsbauern“ über die ausgebliebene Besserung der bäuerlichen Einkommenslage und der tatsächlichen Verbesserung des Lebensstandards in der nationalsozialistischen „Volksgemein- schaft“  – kurz, zwischen falschem und richtigem Gedächtnis. Diese Leitdifferenz wird nicht nur durch abstrakte Kampfbegriffe markiert  – jüdisch-christlichsoziale Dekadenz gegenüber „wahrem Christentum“  –, sondern auch durch Ereignisse aus dem alltäglichen Erfahrungsbereich der Leser/-innen in den 1930er Jahren konkretisiert : einerseits den Verfall der bergbäuerlichen Erzeugerpreise, ande- rerseits die Scharen bettelnder Arbeitsloser. Die Mixtur abstrakter und konkre- ter Momente vermochte die Glaubwürdigkeit des Artikels zu steigern. So ließ sich auch die Klage über den gestiegenen Lohnaufwand, der die bergbäuerlichen Einkommen tatsächlich stark belastete, mit dem Anspruch der Dienstboten und Handwerker auf ‚gerechte‘ Einkommen entkräften. Der einkommensmäßig besser gestellte Bauer und der mit „Arbeit und Brot“ versorgte Arbeiter halten auf selber Augenhöhe  – als „Volksgenossen“  – Einzug in das Zentrum der nationalsozialisti- schen Wohlfahrtsgemeinschaft. Mit dem entschärften Klassenunterschied gleicht sich auch das Gefälle zwischen Land und Stadt aus. An den Rand dieses klas- sen- und regionenübergreifenden Gemeinschaftsentwurfs rückt der „Meckerer“, der als „blonder Bauer“ zwar die „rassischen“ Voraussetzungen zum Einschluss er- füllt, aufgrund seiner „Böswilligkeit“ jedoch einen befristeten Ausschluss durch die Haft im Konzentrationslager Dachau231  – pathologisiert als Genesung vom Ge- dächtnisverlust im „Sanatorium“  – rechtfertigt.232 Zwischen die eingeschlossenen „Volksgenossen“ und die ausgeschlossenen „Gemeinschaftsfremden“ schiebt sich die Grenze der vorgestellten „Volksgemeinschaft“.233 Der „Meckerer“ erscheint als Grenzgänger ; sein befristeter Ausschluss schließt seinen Wiedereinschluss nicht aus. Alles in allem entwirft der Artikel vom krisenhaften Erfahrungsraum ausge- hend einen Erwartungshorizont, dessen Fluchtpunkt die imagined community der nationalsozialistischen Wohlfahrtsdiktatur des „Führers“ bildet.
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Schlachtfelder
Untertitel
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Autor
Ernst Langthaler
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2016
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Abmessungen
15.5 x 23.5 cm
Seiten
948
Kategorien
Geschichte Nach 1918

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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