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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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552 Das „Landvolk“ und seine Meister Ob Leitner den Artikel über den „Meckerer“ vom Sommer 1939 im Sinn hatte, als er im Winter 1940/41 zur Schreibfeder griff, wissen wir nicht. Jedenfalls nahm sein Brief an den „Führer“ Bezug auf den (Inter-)Diskurs um die nationalsozia- listische „Volksgemeinschaft“. Zugleich bezog er sich auch auf persönliche Erfah- rungen und Erwartungen, die wir nicht direkt vom Papier ablesen, sondern nur indirekt erschließen können.234 Zudem schob sich zwischen die Subjektpositionen des (Inter-)Diskurses und die subjektive Positionierung des Schreibenden die me- diale Eigenlogik des Bitt- und Beschwerdebriefes als Filter. Das Schreiben in den vom Arbeitsdruck entlasteten Wintermonaten ließ Form und Inhalt des Briefes sorgfältiger abwägen. Dennoch eröffnete der Akt des Schreibens ein Spiel mit of- fenem Ausgang, dessen Züge nicht nur dem Bewusstsein, sondern auch un- oder vorbewussten Antrieben folgten. Doch all dies äußert sich in den Briefen nur in verschlüsselter Weise ; versuchen wir, die Schriftzeichen ein Stück weit zu ent- schlüsseln. Der Briefverfasser trat gegenüber dem „Führer“ in der Doppelrolle als Bittstel- ler und Beschwerdeführer auf : Er bat um die Abstellung von Missständen. Da- bei hangelte er sich von einem Missstand zum nächsten : vom Alkoholismus über den daraus folgenden Entzug staatlicher Sozialleistungen, die ungerechtfertigte Bestrafung der betroffenen Familien und die Misswirtschaft in der Provinzver- waltung bis hin zur Arbeitsüberlastung der Bevölkerung. Bemerkenswerterweise vertrat der Verfasser keinen partikularen  – persönlichen, lokalen oder regionalen  –, sondern einen universellen Standpunkt, jenen des Staatsganzen. Darin äußert sich eine gewisse Vertrautheit mit Debatten, wie sie in der „gleichgeschalteten“ Tages- und Wochenpresse geführt wurden.235 Über Druckschriften, vermutlich auch über den Rundfunk,236 hatte der Bergbauer auf seinem abgelegenen Hof im hinters- ten Winkel eines Gebirgstales seine mentale Landkarte237 auf das Territorium des Deutschen Reiches erweitert. Im Brief an den „Führer“ trat er nicht als Einzelper- son oder Angehöriger einer Interessengruppe, sondern als ‚Mann aus dem Volke‘ auf. Gemildert durch die Form der Bittschrift enthielt das Schreiben gewichtige Beschwerden, vor allem den Korruptionsvorwurf an die „ostmärkischen Herren auf den höheren Ämtern“. Kurz, unter dem Mantel des devoten Staatsbürgers schien sich ein aufmüpfiger „Meckerer“  – ein gängiger Topos in der „gleichgeschalteten“ NS-Presse nach Abflauen der Anschlusseuphorie  – zu verbergen. Vermutlich des- wegen beantwortete die Reichskanzlei in Berlin den Brief nicht, sondern machte ihn zum „Fall“ und reichte ihn an die Polizeiverwaltung weiter. Um die Position, die Leitner im Diskurs um die „Volksgemeinschaft“ einnahm, genauer zu bestimmen, führt der zweite, an den Landrat in St. Pölten adressierte Brief weiter :
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Schlachtfelder
Untertitel
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Autor
Ernst Langthaler
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2016
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Abmessungen
15.5 x 23.5 cm
Seiten
948
Kategorien
Geschichte Nach 1918

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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