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553Die
imaginierte „Volksgemeinschaft“
„Herrn Landrat ! Frankenfels, am 1.III.1941
Leitner Leopold, Fischbachmühlrotte Nr. 13, Post Frankenfels, bittet im Namen
unserer Gebirgsbauern um Beachtung dieses Schreiben. Nach den neuen Steuer-
meßbeträgen ist in unserer Gegend die Grundsteuer sehr erhöht worden. Bei Man-
chen um 50 bis 60 v. Hundert. Das Sonderbare ist, daß besonders die hochgelegenen
Wirtschaften besonders hoch besteuert wurden, wo doch der Boden viel weniger
erträglich ist, wie im Tal drunten, Holzbringen und Holzschlägern und alle land-
wirtschaftlichen Arbeiten sind mit viel mehr Beschwerden verbunden ; dann muß
Feld- und Wiesenarbeit größtenteils mit der Hand verrichtet werden, da infolge des
steilen abschüssigen Terein Maschinenarbeit nicht möglich ist. Ferner sind durch den
Krieg die Arbeitskräfte sehr vermindert worden, da ein großer Teil unserer jungen
Mannschaft eingerückt ist, wo wir doch junge starke Leute zur Arbeit so notwendig
brauchen würden. Soviel sich Gemeindevertretung und Ort- und Kreisbauernfüh-
rung um Lösung dieser schwierigen Sache bemüht hat, ist nicht der geringste Erfolg
erzielt worden. Wenn unsere Gebirgsbauern diese Steuern voll bezahlen müssen, ist
die Folge, almähliche Verschuldung, Raubbau in Bezug auf Holzschlägerung, daß
viel junges unreifes Holz, infolge Geldmangel geschlägert werden muß. Notwendige
Einrichtungen, Maschinen, Werkzeuge und Vieh muß um Schleuderpreis verkauft
werden um das nötige Geld zu beschafen. Kurz zusamengefaßt, Verelendung unserer
Gebirgsbevölkerung und Vernachlässigung unserer Wirtschaften, ist dann ein großer
Schaden der Volksernährung. Sie würden staunen, wenn Sie sehen würden, mit welch
schlechten Schuhen, ungenügender Winterbekleidung unsere Kinder oft einen wei-
ten beschwerlichen Weg von 2 Stunden zur Schule machen müssen. Ebenfalls ist‘s
auch bei Holzarbeitern und Bauern so, welche mit Holzschlägern und Führen bei
schlechtesten Wetter nicht die notwendige Kleidung bekommen und kaufen kön-
nen. Es ist leicht erklärlich und sogar Ihre Pflicht, von Finanzamt die möglichsten
Mittel anzuwenden um soviel als möglich Steuer von den Bauern einzutreiben, aber
diese Forderung nach den neuen Steuermeßbeträgen ist zu hoch gespant, sie führt
so weit daß die ärmeren Bauern daß zum Schluß nicht mehr zahlen können, was
sie bis jetzt bezahlt haben, weil Ihre Wirtschaften durch Überlastung zugrunde ge-
richtet werden. Ich arbeite jetzt ein halbes Jahr im Holzschlag, einerseits gezwungen
durch Notlage in der ich mich befinde, anderseits um die Lebens- und Lohnver-
hältnisse der Arbeiterschaft gründlich zu kennen, es ist für die Arbeiterschaft auch
nicht leicht, erstens sind die notwendigen Bedarfartikel, spetziel gute Schuhe und
Kleidung, ist im Preis sehr gestiegen und fast nicht zu bekomen. Dann Fett und
Fleisch, im Bezug auf Ihre anstrengende Arbeit, zu wenig. Aber mit sehr sparsamer
Wirtschaftsführung möglich. Anderst verhält es sich bei unseren ärmeren Gebirgs-
bauern. Bei diesen nützt die sparsamste und einfachste Wirtschaftführung nichts,
weil Sie mit besten Willen daß nimer einnehmen können was sie ausgeben müs-
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937