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565Die
imaginierte „Volksgemeinschaft“
Bergbauernfamilie ; erst die Nahaufnahme zeigt die Brüchigkeit dieser Konstella-
tion. Leitners Beziehungsnetzwerk zu Familie, Nachbarschaft und Verwandtschaft
vermochte die Notlage, die ihn Ende der 1930er, Anfang der 1940er Jahre in eine
halbproletarische Existenz zwang, nur zum Teil abzufedern. Gleichzeitig war er,
so scheint es, bis dahin in seiner Existenz nicht ernstlich gefährdet. Das Hin und
Her zwischen Gut-Leben-Können und Überleben-Müssen, die Schwebelage zwi-
schen Nicht-Mehr-Bauer-Sein und Noch-Nicht-Arbeiter-Sein, die Grenzgänge
zwischen eigenem Hof und fremdem Holzschlag ließen ihn in seiner realen Zer-
rissenheit nach etwas suchen, was er anscheinend in der nationalsozialistischen
„Volksgemeinschaft“ zu finden glaubte : eine imaginierte Gemeinschaft, die ihm
und seiner Familie einen sicheren Platz zu bieten schien. Die Bitten und Be-
schwerden des meckernden, aber pflichtbewussten Gebirgsbauern an den „Führer“ und
dessen Amtsträger richteten sich nicht – wie im Fall des „böswilligen Meckerers“
und „krankhaften Systemlings“ in der Regionalzeitung – gegen die nationalsozi-
alistische „Volksgemeinschaft“ an sich, sondern gegen die alltägliche Kluft zwi-
schen wohlfahrtsstaatlichem Ideal und existenzgefährdender Realität. „Meckern“
und Pflichterfüllung gegenüber Staat und Partei bildeten hier keinen Widerspruch,
sondern bedingten einander.
Abbildung 6.12 : Leopold und Katharina Leitner mit ihren Kindern in den
1930er Jahren
Quelle : Sammlung Pfeffer, Frankenfels.
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937