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574 Ordnung und Chaos des Marktes
und Ablieferung der agrarischen Erzeugnisse organisierten. Die Abteilungen B,
die für die Zuweisung der Nahrungsmittel an die Bevölkerung zuständig waren,
standen unter der Leitung der Regierungspräsidenten und Landräte.15 Dennoch
greift die Kennzeichnung des Reichsnährstandes als „Behörde“ im Gegensatz zur
„Interessenvertretung“,16 selbst wenn wir von der Verwaltungspraxis zunächst ab-
sehen, zu kurz. Vielmehr erscheint er als ein Hybrid aus beiden Merkmalen, als
eine Selbstverwaltungskörperschaft mit Behördenstatus ; freilich überwogen im Zuge
von Kriegsvorbereitung und -führung die ihm übertragenen Behördenagenden zu-
nehmend die Selbstverwaltung.17
Der Hybridcharakter äußerte sich darin, dass der Reichsnährstand neben der
Kernaufgabe der Marktordnung auch in der staatlichen Bewirtschaftung eine
Schlüsselrolle spielte. Ernst Spatschil, Leiter der Marktrechtsabteilung in der Lan-
desbauernschaft Niederdonau, sah sich im Jänner 1944 veranlasst, den Unterschied
dieser beiden Regulative
– die „nicht allenthalben richtig verstanden“, miteinander
„verwechselt“ und „falsch beurteilt“ worden seien
– im Wochenblatt klarzulegen. Die
Marktordnung sei die „Friedensordnung des wirtschaftlichen Lebens“ :
„Die Bestimmungen des Marktrechtes regeln den Weg der landwirtschaftlichen
Produkte vom Erzeuger über den Verteiler bis zum Verbraucher. Die neue Markt-
ordnung ist die für die Ernährungswirtschaft geschaffene Friedensordnung des wirt-
schaftlichen Lebens. Ihre grundlegenden Bestimmungen umfassen Maßnahmen zur
Erhöhung der Produktion, zur Hebung der ländlichen Kaufkraft, zum richtigen und
störungslosen Absatz der landwirtschaftlichen Erzeugnisse, zur wirtschaftlichen Ver-
arbeitung derselben und zur Versorgung des Verbrauchers zu angemessenen Preisen.
Kein Mitglied der in diesem Arbeitsprozeß eingeschalteten Gruppen soll, wie dies
früher häufig der Fall war, durch Ausnützung irgendwelcher Konjunkturen oder un-
gesunder Verhältnisse einen ungerechtfertigten Gewinn erzielen, sondern die Kosten
der landwirtschaftlichen Erzeugnisse werden unter den am Markte beteiligten Be-
rufsgruppen entsprechend ihrer produktiven Leistung aufgeteilt.“18
Von der Marktordnung unterscheide sich die mit Kriegsbeginn eingeführte „Be-
wirtschaftung landwirtschaftlicher Erzeugnisse“ :
„Diese Bewirtschaftung soll nicht unabhängig von der Versorgungslage die wirtschaft-
lichen Vorgänge am Markte vom Erzeuger bis zum Verbraucher regeln, sondern sie
wurde geschaffen, um die durch den Krieg bedingte Verknappung der Versorgungslage
durch entsprechende Maßnahmen zu regeln. Bewirtschaftung heißt, daß für die darun-
ter fallenden Erzeugnisse der freie Wirtschaftsverkehr ausgeschlossen ist. Der Eigen-
tümer kann mit den bewirtschafteten Erzeugnissen nicht mehr nach seinem Belieben
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937