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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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594 Ordnung und Chaos des Marktes Delikte als erschwerend wurde Binder zu fünf Monaten Gefängnis, 50 Reichsmark Geldbuße und 60 Reichsmark Wertersatz verurteilt.74 Soweit die juristische Sicht der Dinge. Um diesen Fall in sein gesellschaftliches Kräftefeld einzubetten, wenden wir uns dem Geschehen vor, während und nach dem Gerichtsverfahren zu. Binder bewirtschaftete den Hof zusammen mit seiner kränklichen Ehefrau und einem altersschwachen Knecht. Daraus ergab sich eine doppelte Zwangslage : Einerseits wurden die dem Haushalt zustehenden Haus- schlachtungsgenehmigungen an der Zahl der ständigen  – aber krankheits- und altersbedingt nicht voll einsatzfähigen  – Arbeitskräfte bemessen. Andererseits musste der Betriebsleiter die fehlende Arbeitskraft durch Taglöhner/-innen  – die aber für die Bemessung des offiziellen Fleischkontingents nicht in vollem Umfang zählten  – abdecken. Teils wurde die zusätzliche Arbeitskraft durch Kriegsgefan- gene, teils durch ein Ehepaar, das ein Nebengebäude des Hofes als Wohnung ge- mietet hatte, und andere Taglöhner/-innen aus der näheren Umgebung mobilisiert. Um die Haushaltsangehörigen sowie die tageweise beschäftigten Hilfskräfte in angemessener Weise mit Fleisch zu verköstigen, reichten die Erträge der geneh- migten Hausschlachtungen nicht aus. Auch das Geld war knapp, lief doch wegen der 21.000 Reichsmark Schulden, die das Bauernpaar großteils vom Vorbesitzer übernommen hatte, ein Entschuldungsverfahren.75 Daher wurde zumindest ein Schwein für den Eigenbedarf „schwarz“ geschlachtet  – was den Arbeitskräften auf dem Hof freilich nicht verborgen blieb. Damit die im bäuerlichen Milieu durch- wegs übliche „Schwarzschlachtung“ den Behörden zur Kenntnis gelangte, bedurfte es jedoch eines unüblichen Ereignisses : einer Anzeige. Zwischen dem Untermie- ter- und dem Hofbesitzerpaar hatten sich seit geraumer Zeit Spannungen ergeben : Die Untermieterin erledigte die Rübenarbeit nicht zur Zufriedenheit der Bau- ersleute ; der Hofbesitzer forderte von den Eingemieteten, eine bislang genutzte Abstellkammer zu räumen. Irgendwann eskalierte der Streit : Binder vernagelte die Kammertür der Mietwohnung ; die Betroffenen drohten ihm mit Anspielung auf die verbotenen Schlachtungen : „Du sei ruhig, sonst kommen die Schwarzen daran.“76 Daraufhin erstattete der Untermieter beim Bürgermeister Anzeige wegen dreimaliger „Schwarzschlachtung“ durch Binder unter Beihilfe eines Kriegsgefan- genenaufsehers und eines benachbarten Hofinhabers sowie „Verhamsterung“ eines Großteils des Fleisches unter Beihilfe des Knechtes.77 Mit dieser Anzeige, die sofort an die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht weitergeleitet wurde, kam das Strafverfahren in Gang. Nun musste der Verdäch- tige und, in weiterer Folge, Angeklagte eine Verteidigungsstrategie zimmern. Un- ter Beistand eines Rechtsanwalts wurde eine Reihe von Entlastungsargumenten und -zeugen aufgeboten : Bei zwei der drei angeblichen „Schwarzschlachtungen“ handle es sich um genehmigte Hausschlachtungen, was die eigene Ehefrau, die
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Schlachtfelder
Untertitel
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Autor
Ernst Langthaler
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2016
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Abmessungen
15.5 x 23.5 cm
Seiten
948
Kategorien
Geschichte Nach 1918

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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