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Nach 1918
Schlachtfelder - Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
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603Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften sich schrittweise die Position des patriarchalischen „Hausvaters“ an. Seine Macht mochte dem Vertrauen entsprungen sein, das die Bäuerin ihm als Gehilfen der „Schwarzschlachtungen“ schenkte, oder aber seiner Drohung, das ihm entgegen- gebrachte Vertrauen zu brechen. Wie auch immer, der Fall offenbart die Vertrau- ensbasis als wichtige Ressource ländlichen Wirtschaftens im Allgemeinen und der Schattenwirtschaft im Besonderen. War keine Vertrauensbasis gegeben, versuchten Betriebsbesitzer/-innen nicht genehmigte Schlachtungen vor anderen Haushalts- und Betriebsangehörigen zu verheimlichen, etwa während der Abwesenheit der Bediensteten vom Hof oder der Nachtruhe.104 Kurz, Vertrauen oder Verheimli- chen  – so lautete eine der Schlüsselentscheidungen, die sich bäuerlichen Schwarz- schlächtern stellte. Freilich schien in Paarbeziehungen das Vertrauen unumgäng- lich, weil das Verheimlichen im Rahmen der bäuerlichen Familienwirtschaft kaum durchzuhalten war  – zumal es sich beim Schlachten von Schweinen und Rindern um eine Tätigkeit handelte, die Mithelfer/-innen erforderte. Wechselseitiges Ver- trauen war im bäuerlichen Familienbetrieb weniger eine Wahl, als vielmehr ein alltäglicher Zwang. Im Zentrum der zweitgrößten Gruppe sondergerichtlich Verurteilter, der bäu- erlichen Schleichhändler, steht der Fall des 1885 geborenen Andreas Kobilic, der in Bischofswarth, Kreis Nikolsburg, einen sechs Hektar großen Landwirtschaftsbe- trieb als Witwer allein führte. 1942 musste er sich, neben seinem Sohn und ei- nem Wiener Händler, vor dem Sondergericht beim Landgericht Wien wegen der „Schwarzschlachtung“ eines Schweines und dessen Verkauf im „Schleichhandel“ zu Überpreisen verantworten.105 Das Sondergericht unter dem Vorsitz von Richter Eder sah die in der Anklage erhobenen Vorwürfe als erwiesen an. Es nahm an, dass Kobilic „bewusst die Interessen der Volksgemeinschaft dem persönlichen Vorteil hintansetzte“, somit „böswillig“ bewirtschaftetes Schweinefleisch in erheblichem Ausmaß beiseite schaffte und dadurch die Bedarfsdeckung der Bevölkerung ge- fährdete. Wegen eines schweren Verbrechens gegen die KWVO wurde der An- geklagte zu einer Zuchthausstrafe, allerdings nur im Mindestmaß von einem Jahr, verurteilt. Zudem wurden wegen des Vergehens gegen die Reichsabgaben- und die Preisstrafrechtsverordnung eine Geldstrafe von 100 Reichsmark und ein Wert- ersatz von 33,60 Reichsmark verhängt. Als erschwerend wertete das Gericht das Zusammentreffen eines Verbrechens und zweier Vergehen sowie die Verleitung der übrigen Angeklagten, als mildernd das Geständnis, die Unbescholtenheit, die Sorgepflicht für drei der sechs Kinder und eine gewisse Zwangslage.106 Welche gesellschaftliche Konstellation offenbart dieser Gerichtsfall ? Die Zwangslage, von der das Gericht sprach, bezog sich auf die immensen Schulden, die sich auf dem von den Eltern übernommenen Anwesen angehäuft hatten. Der Hauptgläubiger, die Raiffeisenkasse Eisgrub, hatte 1941 ein Zwangsversteige-
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Schlachtfelder Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Schlachtfelder
Untertitel
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Autor
Ernst Langthaler
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2016
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-20065-9
Abmessungen
15.5 x 23.5 cm
Seiten
948
Kategorien
Geschichte Nach 1918

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 9
  2. 1. Akteure in Agrarsystemen 11
  3. Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
    1. 1.1 Von (Re-)Aktionsmustern zu Interaktionsfeldern 11
    2. 1.2 Agrarsysteme und Landwirtschaftsstile im Kräftefeld 16
    3. 1.3 Instrumente der Feldvermessung 26
  4. 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
  5. Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
    1. 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
    2. 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
    3. 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
    4. 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
    5. 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
    6. 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
    7. 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
    8. 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
    9. 2.9 Zusammenfassung 149
  6. 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
  7. Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
    1. 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
    2. 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
    3. 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
    4. 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
    5. 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
    6. 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
    7. 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
    8. 3.8 Zusammenfassung 253
  8. 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
  9. Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
    1. 4.1 Die Steuerung der „Landflucht“ 257
    2. 4.2 Die Steuerung des „Reichseinsatzes“ 277
    3. 4.3 Arbeit als alltägliches Kräftefeld 298
    4. 4.4 Gerechter Lohn oder Ausbeutung ? 322
    5. 4.5 „Menschenökonomie“ vor Ort 347
    6. 4.6 Zusammenfassung 371
  10. 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
  11. Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
    1. 5.1 „Bauerntum“ und Technik – (k)ein Widerspruch ? 375
    2. 5.2 „Bauernstolz“ oder Klientenmentalität ? 385
    3. 5.3 Staatshilfe als „Auslese“ 404
    4. 5.4 „Aufrüstung“ in den Bergen 436
    5. 5.5 Kapitaleinsatz vor Ort 472
    6. 5.6 Zusammenfassung 494
  12. 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
  13. Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
    1. 6.1 Das agronomische Expertensystem 497
    2. 6.2 Vordenker des „Aufbaus“ 506
    3. 6.3 Bindeglied zwischen Führung und „Landvolk“ ? 518
    4. 6.4 Wirtschaftsberatung vor Ort 534
    5. 6.5 Die imaginierte „Volksgemeinschaft“ 543
    6. 6.6 Zusammenfassung 566
  14. 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
  15. Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
    1. 7.1 Der Markt und seine (Un-)Ordnung 570
    2. 7.2 Lange Schatten, kurzer Prozess 585
    3. 7.3 Öffentliche Bewirtschaftung, privates Wirtschaften 593
    4. 7.4 Die verlorene „Erzeugungsschlacht“ ? 620
    5. 7.5 „Kriegserzeugungsschlacht“ vor Ort 642
    6. 7.6 Vom Wert der Landarbeit 669
    7. 7.7 Zusammenfassung 695
  16. 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
  17. Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
    1. 8.1 Jenseits von Traditionalität und Modernität 699
    2. 8.2 Großbritannien und die Ostmark im Krieg 709
    3. 8.3 Österreich zwischen Krise und Boom 726
    4. 8.4 Versuchsstation des völkischen Produktivismus 742
  18. Anmerkungen 755
  19. Tabellenanhang 824
  20. Farbabbildungsanhang 849
  21. Quellen- und Literaturverzeichnis 865
  22. Abkürzungsverzeichnis 918
  23. Tabellenverzeichnis 920
  24. Abbildungsverzeichnis 927
  25. Personenregister 933
  26. Ortsregister 934
  27. Sachregister 937
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