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677Vom
Wert der Landarbeit
hältnis der aufgewendeten Arbeit und zum eingesetzten Kapital maßgebend, son-
dern unmittelbar das Verhältnis, mit welchem das Gesamteinkommen der Familie
den Lebensunterhalt der wachsenden Familie zu decken vermag und darüber hinaus
Zuwächse am Bestand der Wirtschaft oder zur Existenzgründung der weichenden
Erben zu bringen imstande war.“216
Damit unternahm der Autor eine bemerkenswerte Abkehr von der klassischen Be-
triebswirtschaftslehre, die im Reinertrag – der Verzinsung des eingesetzten Kapi-
tals – den wichtigsten Erfolgsmaßstab der Betriebsführung sah.217 Demgegenüber
verlagerte er das Augenmerk von der Produktions- zur Konsumseite, zum „Le-
bensunterhalt“ der bäuerlichen Familienangehörigen :
„Dabei ist nicht die Höhe des Lebenshaltungsaufwandes, die Summe der Tausch-
werte der hiefür verwendeten materiellen Güter für Vergleiche mit der anderer Er-
werbsgruppen ausschließlich maßgebend ; denn der Grad der Deckung bäuerlichen
Bedarfes hängt keineswegs allein davon ab, da die Unabhängigkeit, Selbständigkeit
und andere ideelle bäuerliche Werte auch durch Verzicht auf materielle Güter erkauft
wird. Es ist in bäuerlichen Wirtschaften immer wieder zu sehen, daß erzielte Über-
schüsse oder Einkommenserhöhungen in erster Linie für das Wachstum der Wirt-
schaften, für Bestandsvermehrungen und -verbesserungen eingesetzt werden, auch
wenn der Lebenshaltungsaufwand im Vergleich zu dem anderer Erwerbsgruppen ein
äußerst bescheidener ist.“218
Wenn der materiell messbare „Lebenshaltungsaufwand“ kein gültiges Erfolgsmaß
darstellte, musste eine Größe, die auch den ideell bedingten Einkommensverzicht
bäuerlicher Familien einkalkulierte, gefunden werden :
„Daher erscheint das Ausmaß und die Art der Vermögensvermehrung, des Über-
schusses über die Lebenshaltung der Familie hinaus, ein maßgebliches Kennzeichen
gesunder bäuerlicher Wirtschaft, des bäuerlichen Wirtschaftserfolges zu sein. Auch
der Bauer selbst sieht darin allein den tatsächlichen Erfolg seiner Wirtschaft.“219
Diese Skizze einer genuin nationalsozialistischen Erfolgsrechnung leitete die Aus-
wertung der Buchführungsergebnisse für die Produktionsgebiete Landesbauern-
schaft Donauland an. Wenn die Herausgeber auch Mängel wegen der zu geringen
Zahl an erfassten Betrieben
– 145 für 1938/39 und 126 für 1939/40
– einräumten,
sahen sie in den Ergebnissen wichtige Anhaltspunkte für die Erfolgsrechnung bäu-
erlichen Wirtschaftens. Da ein Teil der Erhebungsbetriebe zwischen den beiden
Erhebungsjahren wechselte, sind die Jahreswerte nur eingeschränkt vergleichbar.220
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937