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692 Ordnung und Chaos des Marktes
nur den größeren Betrieben zugute. Gesamt gesehen zeigte die (unter-)bäuerliche
Wirtschaftsweise in Litschau eine weitaus vielfältigere – und damit weniger kri-
senanfälligere – Ausrichtung als in Kirchberg an der Pielach. Doch die Stand-
beine des Rinder-, Milchprodukte-, Schweine-, Getreide- und Kartoffelverkaufs
waren für die kleineren Betriebe allein nicht tragfähig ; knapp vier Zehntel ihrer
Einkünfte kamen aus außeragrarischer und außerhäuslicher Erwerbsarbeit. Neben
selbstständigen Gewerben, etwa Tischlerei, Schneiderei oder Schmiedehandwerk,
eröffnete vor allem die im oberen Waldviertel bedeutsame Textilindustrie – teils
hausgewerblich, teils fabrikmäßig organisiert – den Kleinhäuslerfamilien zusätz-
liche Verdienstmöglichkeiten. Die Verbindung von zwerg- und kleinbetrieblicher
Landwirtschaft und gewerblich-industrieller Lohnarbeit bot eine tragfähige Ba-
sis für eine hybride und damit auch flexible Form ländlichen Wirtschaftens : den
„Arbeiterbauern“.237 Die in Textilgewerbe und -industrie massiven Betriebsein-
schränkungen und -schließungen während der Weltwirtschaftskrise der 1930er
Jahre238 trafen – nach den landlosen, von Arbeitslosigkeit in ihrer Existenz be-
drohten Gruppen der regionalen Gesellschaft – am schwersten die Familien der
„Arbeiterbauern“.
Ähnlich vielfältig wie in Litschau stellte sich die Verteilung der Einnahmen
in Mank dar. Mehr als die Hälfte der Einkünfte brachte die Rinderhaltung ein ;
doch anders als in den Ochsenaufzuchtgebieten Kirchberg an der Pielach und Lit-
schau lag der Schwerpunkt in Mank, wo Zugochsen meist zugekauft wurden, auf
der Milch- und Mastviehhaltung. Sowohl die Fleisch- als auch die Milcherzeu-
gung wurden mit steigender Betriebsgröße als Einkommensquellen wichtiger. Die
Schweinefleischerzeugung, die insgesamt mehr als ein Achtel zu den Einnahmen
beitrug, besaß in den kleineren Betrieben mehr Gewicht als in den größeren. Kar-
toffeln spielen als Marktfrucht keine Rolle ; dafür erzielte die Getreidevermark-
tung, die mit wachsender Betriebsgröße anteilsmäßig zulegte, mehr als ein Achtel
der Einnahmen. Neben der Geflügelhaltung bildete in Mank, das zum Mostviertel
gehörte, der Obstbau einen regionalen Schwerpunkt. Außeragrarischer und außer-
häuslicher Erwerb war nicht nur für die kleineren Betriebe eine wichtige, etwa ein
Fünftel umfassende Einkommensquelle, sondern auch unter den mittleren Betrie-
ben – meist in Form ländlicher Gewerbe wie Gastwirtschaft, Müllerei oder Sä-
gerei – verbreitet ; fabrikmäßig organisierte Betriebe hatten als (unter-)bäuerliche
Einkommensquellen in der Region kaum Bedeutung .
In auffälligem Kontrast zu Kirchberg an der Pielach, aber auch Litschau und
Mank stand die Verteilung der Einkünfte in Matzen. Das wichtigste Standbein der
Häusler- und Bauernbetriebe war der Trauben- und Weinverkauf mit gut einem
Drittel der Gesamteinnahmen. Sein Gewicht sank mit steigender Betriebsgröße
von mehr als der Hälfte auf ein Viertel. Die kleineren Betriebe waren demzu-
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937