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712 Eine grünbraune Revolution ?
Dünge- und Futtermitteln, Saatgut und Maschinen. Der zweite Aufgabenbereich
zielte darauf ab, mittels Betriebsberatung die bereitgestellten Ressourcen möglichst
produktiv einzusetzen. Der dritte Aufgabenbereich umfasste Sanktionen gegen
Farmer, die den Anweisungen der Komitees, etwa der Beteiligung an den plough-
ing- up campaigns, zuwiderhandelten. Im Rahmen des National Farm Survey 1941
bis 1943 wurden alle Farmer entsprechend ihrer Managementfähigkeiten nach den
Kategorien A, B und C – für mehr als 80 Prozent, 60 bis 80 Prozent oder weniger
als 60 Prozent der potenziellen Produktionsleistung – bewertet. Die Vergleich-
barkeit der Ergebnisse war nicht nur zwischen einzelnen Grafschaften erschwert ;
auch innerhalb desselben Gebiets wurden Besitzer/-innen größerer Farmen oder
von Betrieben in Gunstlagen tendenziell besser beurteilt als kleinere Farmer oder
Betriebsbesitzer/-innen in Ungunstlagen. Zudem verzerrten persönliche Bezie-
hungen zwischen Erhebungsorganen und Farmern wie Verwandt-, Freund- und
Nachbarschaft die Beurteilungen.66
Überzogene Machtansprüche von Komiteemitgliedern und das vielen Farmern
eigene Autonomiestreben schürten alltägliche Konflikte, die die WAEC durch
Sanktionen zu lösen trachteten.67 Das umstrittenste Sanktionsinstrument bildete
der Räumungsbefehl (eviction order), der Pachtverhältnisse vorzeitig beendete und
Betriebseigentümer zur Abtretung ihres Landes, manchmal auch ihrer Farmge-
bäude zwang. Obwohl diese Zwangsmaßnahme nur eine Minderheit der Farmer
traf, erzielte die zunehmende Anwendung – samt damit verbundener Polizeiüber-
griffe und Selbsttötungen – in der Mehrheit eine abschreckende Wirkung. Dane-
ben verfügten die Komitees über weitere negative und positive Sanktionen, die vom
Vorenthalt von Geldleistungen bis zur Vergabe knapper Ressourcen reichten.68 Die
von Sanktionen der WAEC betroffenen Farmer fanden weder vor Gericht noch
in den Massenmedien Gehör. Beistand gewährte die National Farmers Union,
die jedoch eine ambivalente Rolle zwischen agrarischer Interessenvertretung und
staatlichem Hilfsorgan spielte. Oppositionelle Strömungen wurden in Protestorga-
nisationen wie der Farmers’ Rights Association und der Farmers and Smallholders
Association kanalisiert.69
Den Aufgabenbereich der britischen WAEC übernahmen im Deutschen Reich
überwiegend die 1938 auch in der Ostmark eingerichteten Unterorganisationen
des Reichsnährstands, die Landes-, Kreis- und Ortsbauernschaften mit jeweils
einem ehrenamtlichen „Bauernführer“ an der Spitze. Anders als die Ortsbauern-
schaften verfügten die Kreis- und Landesbauernschaften über einen Stab ange-
stellter Mitarbeiter/-innen, die in drei Hauptabteilungen – „Der Mensch“ zur
ideologischen Mobilisierung, „Der Hof“ zur fachlichen Schulung und „Der Markt“
zur Bewirtschaftung der Erzeugnisse
– organisiert waren. Die Kreis- und Ortsbau-
ernschaften waren keine bloßen Befehlsempfänger gegenüber übergeordneten Ins-
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937