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743Versuchsstation
des völkischen Produktivismus
ten“ per Gerichtsbeschluss die Betriebsführung befristet oder dauerhaft entzogen
werden. Trotz verschärfter Kontrollmaßnahmen drängten seit der Kriegswende
1941/42 der zunehmende Arbeitskräfte- und Betriebsmittelmangel den Haupt-
strom der Betriebe in Richtung Extensivierung, in manchen Fällen sogar zur vo-
rübergehenden Stilllegung. So beraubte die nationalsozialistische Kriegsführung
den Gutteil der Betriebe, die nur ungenügend mit Motoren ausgestattet waren,
einer zentralen Basisressource – der Muskelkraft der eingerückten Männer und
Pferde. Die mehr- und überbelasteten Frauen und Jugendlichen vermochten die-
sen Ausfall trotz in- und ausländischer Hilfskräfte nicht zur Gänze auszugleichen.
Folglich waren die meisten Produktions- und Produktivitätsmaßzahlen des öster-
reichischen Agrarsektors – mit Ausnahme der Arbeitsproduktivität als Ausdruck
der Selbst- und Fremdausbeutung – gegen Ende der NS-Ära deutlich unter das
Niveau der Anfangsjahre gefallen.
Auf der anderen Seite des Manövrierraums erweiterten die Regulative der
kriegswirtschaftlich motivierten „Erzeugungsschlacht“ die Möglichkeiten pro-
duktivistischen Wirtschaftens. Vor dem „Anschluss“ hatte die Nachfrageschwäche
des kleinstaatlichen, unter dem industriell-urbanen Kaufkraftschwund leidenden
Binnenmarktes
– vor allem für das bergbäuerliche Produktangebot
– eine Expansi-
onsbarriere gebildet ; danach öffnete sich der scheinbar unersättliche Absatzmarkt
„Großdeutschlands“. Auf der Input-Seite des Agrarsystems verschoben sich die
Faktorgewichte : Waren zuvor Landarbeitskräfte reichlich vorhanden und billig
sowie Landtechnik knapp und teuer, kehrten sich 1938/39 die Preisrelationen
um : „Landflucht“ und Militärdienst trieben die Landarbeiterlöhne in die Höhe ;
Zollsenkung und Förderaktionen verbilligten organisch- und mechanisch-tech-
nische Betriebsmittel. Diese Preisverschiebungen befeuerten eine – regional und
betrieblich ungleich greifende – Technisierungswelle, die sich in wachsenden
Handelsdüngermengen und Motorleistungen in den Betrieben ausdrückte. Auf
der Output-Seite stärkten ökonomische und außerökonomische Momente der
Lebensmittelbewirtschaftung – staatliche Fix- und steigende Schwarzmarktpreise
einerseits, amtliche Produktionsappelle und Ablieferungszwänge andererseits
– die
betriebliche Marktverflechtung. Die staatlich regulierten Faktor- und Produkt-
märkte leiteten bis zur Kriegswende 1941/42 den Hauptstrom der Betriebe in
Richtung moderat steigender Boden- und Arbeitsproduktivität.
Richten wir den Blick auf die Mikroebene, so zeigt sich innerhalb der Ma-
növrierräume auf der Makroebene ein Bündel vielfältiger, gleichwohl stilgeleite-
ter Entwicklungspfade (Tabelle 8.14) : Zuckerrübenbauern, Maschinenmänner und
Ackerbäuerinnen tendierten insgesamt zu Aufstockung und/oder Intensivierung,
also zu den Stilen des Umkrempelns und Aufwirtschaftens. Den entgegengesetzten
Pol des Spektrums besetzten die Ochsenbauern mit ihrer Tendenz zum Weiterma-
Schlachtfelder
Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Schlachtfelder
- Untertitel
- Alltägliches Wirtschaften in der nationalsozialistischen Agrargesellschaft 1938–1945
- Autor
- Ernst Langthaler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20065-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 948
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- 1. Akteure in Agrarsystemen 11
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft als Forschungsgegenstand 11
- 2. Anatomie eines „lebenden Organismus“ 36
- Manövrieren im Feld der Betriebs- und Haushaltsführung 36
- 2.1 Die Konstruktion des „Hoforganismus“ 36
- 2.2 Höfe im Fokus der Betriebszählung 44
- 2.3 Höfe im Fokus der Buchführung 55
- 2.4 Höfe im Fokus der Hofkarte 68
- 2.5 Blicke hinter das Hoftor 79
- 2.6 Im Raum des (unter-)bäuerlichen Wirtschaftens 102
- 2.7 Im Raum der Gutswirtschaft 116
- 2.8 Durchleuchtete Höfe 128
- 2.9 Zusammenfassung 149
- 3. „Entjudete“ Güter, „deutsche“ Bauernhöfe 151
- Manövrieren im Feld des Grundbesitzes 151
- 3.1 „Blut und Boden“ – eine wirkmächtige Metapher 151
- 3.2 Regulative der Ent- und Verwurzelung 156
- 3.3 Das Doppelgesicht der Bodenordnung 172
- 3.4 Verbäuerlichung durch „Entjudung“ 187
- 3.5 Schollenbindung oder Parzellenhandel ? 199
- 3.6 Wer ist (k)ein „Bauer“ ? 216
- 3.7 „Grundstücksverkehr“ vor Ort 230
- 3.8 Zusammenfassung 253
- 4. „Menschenökonomie“ unter Zwang 257
- Manövrieren im Feld der Landarbeit 257
- 5. Die abgebrochene „Dorfaufrüstung“ 375
- Manövrieren im Feld des Betriebskapitals 375
- 6. Das „Landvolk“ und seine Meister 497
- Manövrieren im Feld des Agrarwissens 497
- 7. Ordnung und Chaos des Marktes 570
- Manövrieren im Feld der Agrargüter 570
- 8. Eine grünbraune Revolution ? 699
- Nationalsozialistische Agrargesellschaft im Systemvergleich 699
- Anmerkungen 755
- Tabellenanhang 824
- Farbabbildungsanhang 849
- Quellen- und Literaturverzeichnis 865
- Abkürzungsverzeichnis 918
- Tabellenverzeichnis 920
- Abbildungsverzeichnis 927
- Personenregister 933
- Ortsregister 934
- Sachregister 937