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I.2 Zum Gegenstand der Untersuchung
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( individueller ) Kausalität bestehen – d. h. in dem Nachweis , dass das infrage stehende
Verhalten in relevantem Ausmaß durch den ‚Faktor Burschenschaft‘ beeinflusst war.27
Dieser Nachweis kann im simpelsten Fall über eine entsprechende Erklärung des Be-
treffenden selbst erbracht werden. In anderen Fällen wird ein Zusammenhang von So-
zialisation und Handlung über Indizien wie sprachliche Auffälligkeiten oder indivi-
dualbiografphische Details zu argumentieren sein. Ergänzend kann dabei generische
Kausalität ins Treffen geführt werden ( vgl. hierzu Kapitel III.2 ), wie sie von burschen-
schaftlicher Seite bisweilen behauptet wird : „Wir sind in erster Linie Burschenschaf-
ter und dann erst Mitglieder einer Partei oder einer sonstigen Gliederung unseres Ge-
meinwesens.“28 Als dritter Indikator bietet sich Exklusivität bzw. relative Häufung an.
Legt eine relevante Zahl an Burschenschaftern eine bestimmte Verhaltensweise an den
Tag und fördert auch gezielte Suche keine oder eine im Verhältnis verschwindend ge-
ringe Zahl an Gegenbeispielen zutage , so erhöht dies die Plausibilität eines Rückschlus-
ses auf generische burschenschaftliche Eigenschaften. Beispielsweise liefert die nahezu
vollständige Konzentration burschenschaftlicher Berufspolitiker in einer einzigen Par-
lamentspartei der Zweiten Republik ein deutliches Indiz für eine zumindest tenden-
zielle Parteibindung der Burschenschaften in Österreich. In der Analyse des Verhaltens
burschenschaftlicher Parteifunktionäre wiederum kann feststellbarer Kontrast zum Ver-
halten nicht oder anderweitig korporierter FunktionsträgerInnen auf allgemein-bur-
schenschaftliche Eigenschaften hindeuten ( vgl. hierzu die Einleitung zu Kapitel V ).
Der dritte Grund , weshalb ich die Berücksichtigung des Handelns von Burschen-
schaftern außerhalb burschenschaftlicher Zusammenhänge für zulässig , ja für wichtig
erachte , besteht darin , dass nicht nur die Verbindung das einzelne Mitglied , sondern
dieses umgekehrt auch die Verbindung mit formt. Nach symbolisch-interaktionistischer
Auffassung entspinnt soziales Handeln sich in einem Prozess gegenseitiger Interpreta-
tion und wechselseitiger Abstimmung von Handlungsoptionen durch die Individuen.
Um überhaupt handlungsfähig zu sein , pflegen diese auf eingeübte Deutungen und er-
probte Handlungsstrategien zurückzugreifen und entsprechende Erwartungen aneinan-
der zu stellen. Soziale Normen und ihnen adäquate Verhaltensmuster weisen daher eine
gewisse Trägheit auf. Gleichwohl bedürfen sie , um in Geltung zu bleiben , der ständigen
Bekräftigung. Ihre Veränderung vollzieht sich teils als Produkt missglückter Wieder-
holung , teils in Form des mehr oder weniger bewussten Zuwiderhandelns.29 Was auch
27 Kausalität ist hier wie auch im folgenden Fall nicht im Sinne einer hinreichenden Bedingung zu verste-
hen , sondern verweist auf einen Faktor unter mehreren im Rahmen komplexer Motivations- und Er-
möglichungsstrukturen.
28 So ein hochrangiger Amtsträger der Burschenschaft Arminia auf dem Burgkeller Jena , wiedergegeben in
einem Video des Marburger Rheinfranken ( verfügbar unter http://www.youtube.com/watch?v=WG25VIS-
2moQ ).
29 Vgl. anhand der Transformation von Geschlechternormen Butler 1991 , 213.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619