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I. Einleitung
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der Rechtsextremismusforschung wesentlich vom Duisburger Institut für Sprach- und
Sozial forschung ( DISS ) ausgearbeitet wurde.111 Ich verstehe darunter eine Weltan-
schauung , die in der Zentralkategorie des Volkes ankert , wobei Volkszugehörigkeit
anhand von Abstammung , d. h. biologistisch , bestimmt wird. Eben die „Hypostasie-
rung des holistisch verstandenen Volkes“ und der Glaube an eine natürliche Ungleich-
heit der Menschen sind es , die nach dem Urteil Stefan Breuers „von einem spezifisch
völkischen Rechtsnationalismus“ sprechen lassen.112 Von Liberalen unterscheiden sich
An hängerInnen völkischer Weltanschauung dementsprechend im Kern dadurch , dass
sie beim ‚Welt-Anschauen‘ nicht eine Menschheit oder Individuen , sondern Völker
sehen , so wie sie geschichtliche Verläufe als Ergebnis des permanenten Ringens die-
ser Völker miteinander wahrnehmen ( vgl. zur völkischen Ideologie ausführlich Kapitel
III.7 ). Völker erscheinen dabei „ ‚als überindividuelle und überhistorische Wesenheiten
mit einer ererbten spezifischen Prägung ( Nationalcharakter beziehungsweise -geist )‘ ,
deren Erhaltung höher zu bewerten sei als die individuellen Menschenrechte“.113
Selbst im Kontext der Zweiten Republik ist völkisch nicht mit deutschnational
gleichzusetzen , da Menschen von der deutschen Nationalität der österreichischen
Mehrheitsbevölkerung überzeugt sein können , ohne ihre gesamte Weltsicht und ihr
politisches Streben um dieses Credo anzuordnen. Völkisches Denken ließe sich in die-
sem Sinne auch als Radikalisierung des deutschnationalen fassen.114 Die über 1945
hinaus deutschnational gebliebenen Verbindungen in Österreich bezeichne ich
– im Be-
wusstsein ihrer durchaus uneinheitlichen politischen Ausrichtung und mit Ausnahme
der wenigen tatsächlich liberalen115 – pauschal als völkisch , nicht zuletzt angesichts
des fast vollständigen Fehlens wahrnehmbarer Distanzierung moderaterer deutschna-
tionaler Verbindungen vom völkischen Aktivismus der rechtsextremen. Gleichzeitig
sei betont , dass die Einstufung einer Verbindung als völkisch nicht die Einstufung je-
des einzelnen ihrer Mitglieder in dieselbe Kategorie einschließt : Fraglos weisen völki-
111 Vgl. kompakt Kellershohn 1998. Verwiesen sei zur Bestimmung und Diskussion des Begriffes auch
auf die Arbeiten Stefan Breuers ( Breuer 2008 , 7–21 ) und , stärker begriffsgeschichtlich , Uwe Pusch-
ners ( 2001 , 27–48 , hier v. a. : 27 f. ). Breuer charakterisiert völkische Gesinnung als „Verbindung von
Mittelstandsideologie , Kritik der reflexiven Modernisierung und Rechtsnationalismus im Rahmen
einer sozialen Bewegung“ ( Breuer 2008 , 21 ). Unter zweitgenanntem Punkt wird dabei eine Haltung
verstanden , die wissenschaftlich-technischem Fortschritt nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber-
steht , wohl aber bestimmte gesellschaftliche Begleiterscheinungen desselben ( nicht zuletzt die Mas-
sendemokratie ) beklagt und mit Flucht in die organisch gedachte völkische Gemeinschaft beant-
wortet. Zu „Volk“, „Kultur“ u. a. als zentrale Ideologeme des völkischen Nationalismus vgl. Schmid
2009 ( Kapitel 4 ).
112 Breuer 2008 , 19.
113 ( Christoph Jansen zit. n. ) Breuer 2008 , 7.
114 Vgl. Peham 2010 , 467.
115 Vgl. zur Geschichte der liberalen Corps ( in Wien ) Hein 1978.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619