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II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration
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her‘ gerade nicht als Ausdruck von Indifferenz gegenüber dem Geschehenen , sondern
als spezifische Form seiner Verarbeitung zu deuten , die breitere gesellschaftliche Phä-
nomene teils spiegelte ( etwa hinsichtlich des nicht bzw. kaum vorhandenen Schuld-
bewusstseins ), ihnen teils aber auch widersprach ( wie im Fall der Darstellung Ös-
terreichs als Opfer ).125 Die zur Auslösung von Verarbeitungsprozessen notwendige
Betroffenheit war angesichts der fast geschlossenen und oft geradezu fanatischen Un-
terstützung des nationalsozialistischen Kriegs- und Vernichtungsprojektes durch die
völkische Bewegung im Allgemeinen und Burschenschaften im Besonderen fraglos
gegeben. Dass dieses Verhalten einer moralischen Bankrotterklärung gleichkam
– und
zwar nicht nur nach dem Urteil Außenstehender , sondern auch unter dem Gesichts-
punkt jener humanistischen Ideale , auf welche die deutsche Nationalbewegung sich
stets ( wenn auch häufig selektiv und inkohärent ) berufen hatte – , konnte den völki-
schen Korporierten kaum entgangen sein.
Angesichts dieses Umstandes war nicht nur die gesellschaftliche Legitimität der
Korporationen und des Deutschnationalismus an sich prekär geworden ; vielmehr ist
anzunehmen , dass aufgrund der von den Korporationen ausgeübten Persönlichkeits-
bildungs- und Wertevermittlungsfunktion ( vgl. Kapitel III.3 ) auch das maßgeblich in
der Verbindung geformte Selbstbild vieler ihrer Angehörigen lädiert worden war. Die
Wiederherstellung der alten Formen bei gleichzeitiger inhaltlicher Beharrung kann
vor diesem Hintergrund als Versuch der Abwehr von Impulsen grundsätzlicher Selbst-
hinterfragung im Sinne der Stabilisierung brüchig gewordener Identität gedeutet wer-
den. In der wiederhergestellten Gemeinschaft suchten – und fanden – die Alten Her-
ren wechselseitige Versicherung der Legitimität ihrer gemeinsamen Ideale und ihrer
( auch ) darauf errichteten Selbstentwürfe. Die schon erwähnte Darstellung des verbin-
dungsstudentischen Wiederaufbaus als bloße Reaktion der Alten auf ein jugendliches
Begehren fügt sich in diese Bestrebungen vortrefflich ein : Die Konstruktion einer bzw.
Übertreibung der Nachfrage nach einschlägiger Betätigung vonseiten einer jungen und
daher nicht oder in geringerem Maße ‚schuldig‘ gewordenen Generation sollte der Re-
stauration und damit auch ihren Trägern zusätzliche Legitimität und Selbstbestätigung
verleihen. Der konkrete Wiederbelebungsvorgang dürfte letztlich als kommunizieren-
der Prozess angemessen beschrieben sein , in dem die Initiative vorwiegend aufseiten
der Alten lag , letztlich jedoch Alt und Jung einander wechselseitig der Richtigkeit ei-
ner mehr oder weniger geteilten Idee versicherten.
Zusätzlich in Richtung Beharrung gelenkt wurde die Identitätssuche österreichi-
scher völkischer Korporierter nach 1945 durch die Wiederholung einer schmerzhaften
125 Die Frage nach der verbindungsstudentischen Verarbeitung der NS-Erfahrung und ihren Folgen für die
ideologische und politische Ausrichtung der Verbindungen nach 1945 sowie die dazu hier formulierten
Überlegungen werden u. a. in Abschnitt II.5 und Kapitel III.5 aufgegriffen und weitergesponnen.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619