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II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration
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Verantwortung für die geschehenen Verbrechen gleichbedeutend mit einer Aufkündi-
gung zumindest jener Auffassung von Burschenschaft wäre , die die Beteiligung an die-
sen Verbrechen nicht nur zuließ , sondern geradezu zur völkischen Pflicht erhob.221 Da
man zu einer Abkehr von dieser Auffassung nicht bereit ist , muss zum einen die Ver-
antwortungsübernahme verweigert und zum anderen präventiv als Häretiker und Ver-
räter an der gemeinsamen Sache punziert werden , wer eine alternative Auffassung ver-
treten könnte.222
Der zweite Österreicher , der sich in die Diskussion in den Blättern einschaltet , ist
Günther Berka.223 Er eröffnet seinen Beitrag mit der Feststellung , dass es „verant-
wortungslos“ wäre , nach 1945 nicht „mit allem Ernste an die Prüfung der Schuldfrage
heran( zu )treten“ ( wobei vorerst unklar bleibt , ob damit Schuld an den NS-Verbrechen
oder aber am ‚Zusammenbruch‘ des Deutschen Reiches und der daran geknüpften
burschenschaftlichen Träume gemeint ist224 ); dabei sollten durchaus auch „die geis-
tigen Grundlagen“ der Burschenschaften einer Hinterfragung unterzogen werden.225
Das Ergebnis dieser Prüfung : Die burschenschaftliche Idee , „das Streben nach Ein-
heit und Freiheit des deutschen Volkes und nach Wahrung ritterlicher Gesinnung“,
sei „rein geblieben“ – denn was am Nationalsozialismus zu kritisieren sei , sei nicht
ihr entsprungen.226 Kritikwürdig findet Berka am Nationalsozialismus demnach nicht
allzu vieles , gesteht er doch zu , „daß das nationalsozialistische Programm in vielen
Belangen mit dem burschenschaftlichen ( … ) übereinstimmte“. Eine historische Ver-
antwortlichkeit der Burschenschaften könne daraus aber auch deshalb nicht abge-
leitet werden , weil die Korporation „als solche“ praktische Politik in die Hände ih-
rer Mitglieder lege und selbst daher für „politisches Geschehen“ grundsätzlich nicht
221 Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang , dass Weyringer einerseits , wie zitiert , den Nationalso-
zialismus als Abweichung vom burschenschaftlichen Denken beschreibt , andererseits aber „Überstei-
gerungen“ in der Verfolgung burschenschaftlicher Ideale ortet ( ebd., 10 ) – und damit eine zumindest
grundsätzliche Kompatibilität der beiden anerkennt. Nicht obwohl , sondern weil man Burschenschaf-
ter war , hatte man dem Nationalsozialismus vor- und zugearbeitet.
222 Die Delegitimierung widerstreitender Positionen als schlichtweg ‚unburschenschaftlich‘ tritt nicht nur
hier zutage , sondern stellt eine von Burschenschaften aus Österreich untereinander wie auch insbeson-
dere im Verkehr mit bundesdeutschen Bünden vielfach erprobte kampfrhetorische Figur dar. „Ich spre-
che ihnen ab , jemals eine Burschenschaft gewesen zu sein“, ließ etwa ein Mitglied Olympias ( Burschen-
schaft seit 1862 ) am DB-Burschentag 1995 ausgerechnet Germania Jena wissen , die sich 1846 in direkter
Nachfolge der Urburschenschaft von 1815 konstituiert hatte ( zit. n. Kuhn 2002 , 84 ). Vgl. ferner BAK ,
DB 9 , C. IV.2 [ A1 ], VaB-Mitteilungen Nr. 24 / 1960 ( Vorort Bremen ), 5
223 Vgl. Burschenschaftliche Blätter Nr. 1 / 1957 , 10 f.
224 Vgl. dazu auch Berkas Begründung seiner Kritik am „nackte( n ) Imperialismus“ und der „Bestialität der
Massenmorde“ des NS-Regimes : Diese hätten „das größte Werk zerstört , das das deutsche Volk jemals
zustande gebracht hat“ ( ebd., 11 ).
225 Ebd., 10.
226 Ebd., 11.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619