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II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung
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tor Karl Fellinger hob in seiner Rede jedoch das dankende Andenken an jene beson-
ders hervor , die „in den letzten großen Sterbezeiten , den beiden letzten Kriegen , von
uns gegangen sind“.289 Eine nähere Differenzierung – etwa zwischen dem studenti-
schen SS-Totenkopfmann und dem christlichsozialen Professor , den dieser im KZ er-
schlug
– wurde vom Rektor nicht für nötig befunden. Sein Hinweis , dass zur Zeit des
Nationalsozialismus Menschen nicht nur „auf den Schlachtfeldern“ und „unter Bom-
benangriffen“, sondern „auch ( … ) in menschlicher Entwürdigung in Konzentrations-
lagern , in rassischen , religiösen und sonstigen Verfolgungen aller Art ihr Leben geben
mußten“, kann vor diesem Hintergrund als Ausdruck ( konservativ-)gedenkpolitischer
Sensibilität auf der Höhe der damaligen Zeit eingestuft werden.290 Seine Ableitung
für Gegenwart und Zukunft erkannte Fellinger in einer „Mahnung“ zur gewaltfreien
Konfliktlösung , zur „echten Humanitas“ und zur Inachtnahme vor Fanatismus.291
Für die TH Wien hielt Professor und Burschenschafter Heinrich Sequenz ( Eisen
Wien/Leoben ) die Rede im Rahmen eines Fackelzuges , der nicht etwa vom WKR ,
sondern von der Hochschule selbst ausgerichtet worden war.292 Sowohl die Wahl des
Redners ( Sequenz war in den Kriegsjahren NS-Dozentenbundführer und Rektor der
TH gewesen ) als auch der Gedenkform in Kombination mit dem Datum ( 8. 11. ) ist
in gedenkpolitischer Hinsicht als bemerkenswert einzustufen. Tags darauf , am Jah-
restag des Novemberpogroms von 1938 , bestand der unfreiwillige Beitrag der TH in
einer Gedenkfeier nicht etwa für die Opfer des Nationalsozialismus oder jedenfalls
alle toten Universitätsangehörigen , sondern – der Arbeiter-Zeitung zufolge – für jene
„Professoren und Studenten ( … ), die während der beiden Weltkriege fielen“. Diese
erhielten eine neue Gedenktafel gewidmet , vor der Garde-Soldaten des Bundeshee-
res „neben chargierten Studenten“ Wache hielten.293
Angesichts dieses gedenkpolitischen Umfeldes vermag der in diesem Kapitel be-
schriebene burschenschaftliche Modus der Vergangenheitsbewältigung nicht zu ver-
wundern. In teilweise scharfem Kontrast dazu ( wie in weiten Teilen auch zur Haltung
anderer völkischer Korporationstypen in Österreich294 ) gelang es vielen bundesdeut-
schen Bünden , den Nationalsozialismus nach 1945 unzweideutig als Irrweg einzustufen ,
289 Ebd., 106 bzw. 107.
290 Ebd., 107. Inwieweit Fellingers Rede von dem „großen Opfer ( … ), das wie jedes Opfer zur Reinigung
und zur Vollendung führt“ als Versuch zu werten ist , nicht nur dem Krieg , sondern auch dem übrigen
Vernichtungswerk der Nationalsozialisten Sinn abzuringen , sei an dieser Stelle offengelassen.
291 Ebd.
292 Vgl. die Arbeiter-Zeitung vom 9. 11. 1965 , 5.
293 Arbeiter-Zeitung vom 10. 11. 1965 , 4.
294 Ein Vergleich der Gedenkreden solcher Verbindungen im Universitätsarchiv mit jenen von Burschen-
schaften ergibt weitgehende Übereinstimmungen in Inhalt und Stil. Vgl. AUW , S 259.108 , Corps Hel-
las 1955 ; AUW , S 259.99 , VDSt Sudetia 1959 ; AUW , S 259.39 , Saxonia 1960. Tendenziell als Ausnahme
zu bezeichnen ist die schon erwähnte Rede der Turnerschafter des WATV 1962 ( AUW , S 259.134 ), in
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619