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II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung
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So mündeten sowohl die Kontinuitätsorientierung und ( Selbst-)Reflexionsabwehr
als auch die Verbundenheit mit den Verstorbenen und der Wunsch , ihnen ein bruchlos
ehrendes Andenken bewahren zu können , in die Rationalisierung und Rechtfertigung
des Einsatzes unter dem Hakenkreuzbanner und damit zumindest in Teilen auch des
Nationalsozialismus selbst. Unterschiede bestanden dabei ( auch innerhalb eines Bun-
des ) v. a. in der konkreten Argumentation : von der Entpolitisierung des Einsatzes durch
Berufung auf hehre Ideale über Geschichtsfälschung bis hin zu unverhohlener Identi-
fikation mit ( Aspekten oder der Gesamtheit ) nationalsozialistischer Politik. Als vor-
herrschend kann die Haltung angesehen werden , wonach es gute und schlechte Seiten
am Nationalsozialismus gegeben habe , wobei letztere gleichzeitig mit jenen Aspek-
ten in eins gefallen seien , die burschenschaftliches von nationalsozialistischem Den-
ken geschieden hätten.
Die Entscheidung für Kontinuität statt Reform wurde in der unmittelbaren Nach-
kriegszeit von der burschenschaftlichen ( Wieder-)Gründungsgeneration getroffen und
gab den Kurs für die folgenden Jahrzehnte vor. Nicht nur fühlten die unmittelbaren
Kameraden der Gefallenen sich diesen verpflichtet – sie gaben die Verpflichtung viel-
mehr auch an die ‚Nachgeborenen‘ weiter. Diesen wurde bedeutet , dass Kritik am Han-
deln der Verstorbenen als Versündigung am Lebensbund aufgefasst würde , standen
doch dabei potenziell auch die Biographie der Überlebenden und die burschenschaft-
liche Kollektividentität in Verhandlung. Gegenüber jenen , die vermeintlich „ihr Leben
für das unsrige“ gegeben hatten bzw. „starben , damit wir leben können“385 , musste jede
Kritik respektlos , ja geradezu impertinent erscheinen. Statt kritischer Distanz wurden
Ehrfurcht und Idolisierung verordnet ( und durch eine entsprechende Gedenkpraxis un-
terstützt ), wovon vor allem die Veteranen selbst profitieren sollten. Eine kritische und
offene Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und der ei-
genen Rolle darin blieb ihnen auf längere Sicht erspart , der Positionentransfer von der
‚Erlebnisgeneration‘ auf die Jüngeren gab Zeugnis von der Effektivität burschenschaft-
licher Erziehung und Auslese. Intergenerationelle Diskussionen scheinen dementspre-
chend lange Zeit nicht stattgefunden zu haben. Wo sie anklangen , verliefen sie – den
wenigen dokumentierten Beispielen zufolge – in relativer Unaufgeregtheit , aber auch
ohne allzu erkennbare Konsequenzen nach außen hin.
Dennoch kam es im Laufe der Jahrzehnte dem Anschein nach zu Verschiebungen.
Zu nennen ist zum einen die Hinwendung vom rein internen Vergangenheitsdiskurs
zu öffentlichen Interventionen ab den 1980er-Jahren ( vgl. Abschnitt IV.2.3 ). Zum an-
385 AUW , S 259.67 WKR 1957 , 3 f. bzw. AUW , S 259.70 Alemannia/Oö. Germanen 1967 , 2. Diese Einschät-
zung des Sterbens im Krieg erscheint aus der Perspektive des im Schützengraben unversehrt gebliebe-
nen Veteranen nachvollziehbar ( und mochte in diesem Fall Dankbarkeit und/oder Schuldgefühle ob
des eigenen Überlebens begründet haben ).
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619