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III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen
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Ähnliches gilt für die Pflege verbindungsstudentischer Bräuche , insbesondere des
Fechtwesens , das in vielen Bünden täglich gepflogen wurde. Wie eine Verbands-Um-
frage über das Sommersemester 1963 und das folgende Wintersemester ergab , hatten
die DBÖ-Mitgliedsbünde in diesem Zeitraum 5.250 Stunden mit Fechten zugebracht.
Die Abhaltung von Kneipen ( zu denen sonstige gesellige Veranstaltungen noch zu ad-
dieren wären ) hatte 1.064 Stunden in Anspruch genommen , während Burschenschaft-
liche Abende als ein zentrales Element der bundinternen Bildungsarbeit mit vergleichs-
weise bescheidenen 510 Stunden zu Buche geschlagen hatten.47 Vor diesem Hintergrund
überrascht nicht , dass Aktive der Innsbrucker Germania in den 1960er-Jahren die hohe
zeitliche Belastung durch das Fechten als einen ihrer Hauptkritikpunkte am Status quo
des Verbindungslebens anführten.48 Ein Germane , Werner Riesenhuber , formulierte gar
die rhetorische Frage , weshalb ein idealistisch eingestellter Student sich einer Vereini-
gung zuwenden solle , „deren Hauptarbeit im Fechten , Kneipenschlagen und interner
Verbändearbeit besteht“ ?49
Damit ist bereits auch der nächste zentrale Hinderungsgrund für umfassenderes poli-
tisches Engagement seitens der Burschenschaften in Österreich angesprochen : der Um-
fang selbst geschaffener institutioneller Verpflichtungen bzw. der Stellenwert der soge-
nannten ‚Couleurpolitik‘. Bereits 1950/51 hatte Günther Berka im burschenschaftlichen
Kreis angemerkt , dass die interkorporative verbindungsstudentische Beziehungspflege
in ihrer vor dem Zweiten Weltkrieg betriebenen Form „zweifellos überspitzt“ gewe-
sen sei. Für ein derartiges Aufkommen an Ehrengerichten , Repräsentationspflichten
und Delegiertenversammlungen fehle „( h )eute ( … ) einfach ( … ) die Zeit“.50 Berkas
Reformwünschen wurde allerdings kaum nachgekommen. Die von ihm als „durchaus
unzeitgemäss [ sic ] und kostspielig“ abgelehnten „Auffahrten in Wichs“ wurden bei-
behalten51 ; die ‚Ehrenreinigung‘ mit der Waffe , die er ( anders als die Mensur ) als län-
gerfristig nicht haltbar eingestuft hatte52 , beschäftigte auch nach 1945 zahlreiche Ver-
tretersitzungen ( vgl. eingehend Kapitel III.5.4 ); die Mensur , über deren Beibehaltung
nach Berkas Dafürhalten der burschenschaftliche Nachwuchs hätte entscheiden müs-
sen , blieb bis heute ein wichtiger Teil des burschenschaftlichen Lebens in Österreich.53
47 Vgl. die Auswertung der Fragebögen des Referenten für burschenschaftliche Arbeit , Beilage zu den Ger-
manenmitteilungen vom Mai 1965 , Blatt II der Beilage.
48 Vgl. die Germanenmitteilungen , Februar 1964 , 3 f. und 6 sowie Dezember 1967 , o. S.
49 Germanenmitteilungen , 15. 12. 1968 , 5.
50 BAK , DB 9 , B. VI.15 [ A ], Berka 1951 , 15 ( vgl. Fußnote 129 auf S. 70 sowie Kapitel II.5.1 ).
51 Ebd., 15.
52 Ebd., 13.
53 Ebd., 14. Scheichl bemerkt 1975 zur Innsbrucker Situation , dass trotz geringer Aktivstände die Anzahl der
Mensuren pro Kopf sich binnen zehn Jahren „fast verdoppelt“ hätte. Dies sei symptomatisch und müsse
„natürlich auf Kosten der politischen Präsenz gehen“ ( PBW , internes Rundschreiben des Altherrenver-
bandes der Germania Innsbruck vom 21. 8. 1975 , 2 ).
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619