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III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich
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Die Unterschiede im Stellenwert , den Burschenschafter ihrem Burschenschaf-
ter-Sein im Alltagsleben zuweisen sowie im Grad an politischer Ambition , die sie mit
ihrer Mitgliedschaft verbinden , lassen sich analytisch in die Gegenüberstellung gesellig-
keitsorientierter und idealistischer Korporierter fassen. Während der idealistische Typus
seine Korporationszugehörigkeit als Auftrag versteht und individuell wie auch im Ver-
bund mit den Bundesbrüdern gesellschaftlich prägewirksam werden will , schätzt der
geselligkeitsorientierte Typ v. a. die sozialen Aspekte des Verbindungslebens.120 Seine
Mitgliedschaft , respektive die Aufrechterhaltung derselben , verdankt sich persön lichen
Loyalitäten , als freudvoll erlebten geselligen Ereignissen ( und der Erinnerung an diese ),
gemeinschaftsstiftenden Ritualen und nicht zuletzt auch simpler Gewöhnung. Wäh-
rend der Idealist die burschenschaftliche politische Agenda ( bzw. die von ihm als rich-
tig erkannte Auslegung derselben ) in identitätsstiftender Weise internalisiert hat , hat
der Geselligkeitsorientierte sie nicht oder nur vorübergehend in sein Selbstbild inte-
griert. Wohl mag er wesentliche Bestandteile burschenschaftlicher Ideologie , wie etwa
die männerbündische Grundierung derselben , verinnerlicht haben ; politischen Akti-
vismus legt er , wenn überhaupt , allerdings nicht primär aus burschenschaftlicher Mo-
tivation an den Tag.121 Während geselligkeitsorientierte Burschenschafter den politi-
schen Kurs ihrer Verbindungen und Verbände passiv mitzutragen pflegen ( aber auch
tendenziell als Trägheitsfaktor für interventionistische Ambitionen erscheinen ), wir-
ken Idealisten als aktive Bewahrer und Gestalter. Dazu dienen ihnen Sprecher- und
Verbandsfunktionen ( vgl. den folgenden Unterabschnitt ) ebenso wie die Tätigkeit als
Festredner und Vortragende , für welche ihr Engagement und ihre Sattelfestigkeit in
burschenschaftlicher Geschichte und Weltanschauung sie prädestinieren. Anders als
Geselligkeitsorientierte verfügen sie sowohl über die Fähigkeit als auch über die Bereit-
schaft , die Korporationen und ihr gesellschaftliches Umfeld zum Gegenstand schrift-
licher und mündlicher Erörterung zu machen ( und deren Ergebnisse mit den Bundes-
und Verbandsbrüdern zu teilen ).
Wie im Falle jedweder Gegenüberstellung von Idealtypen ist darauf hinzuwei-
sen , dass die konkreten Individuen Anteile beider Orientierungen in sich tragen und
Verschiebungen über die Zeit möglich , ja wahrscheinlich sind.122 Auch Geselligkeits-
120 Darauf weist auch Jürgen Schwab hin , hält aber auch fest , dass in fast jedem Bund „Verbandsbrüder an-
zutreffen ( sind ), die in irgendeiner Form national oppositionell sind“ ( Staatsbriefe Nr. 9–10 / 1996 , 19 ).
121 Mit der hier vorgeschlagenen Differenzierung verwandt ist die von Mölzer 1980 für das völkische Kor-
porationswesen insgesamt vorgenommene Unterteilung der damaligen Aktivengeneration in politisch
engagierte und „nichtssagenden Pseudoidealen“ wie ‚Freundschaft‘ u. Ä. anhängende Korporierte ( Möl-
zer 1980 , 251 f. ).
122 Insbesondere kann abnehmendes Interesse am Bund als politische Vereinigung im Zuge des Übergan-
ges ins Berufsleben als typisch gelten. Schwab zufolge ist auch für den Eintritt in eine Burschenschaft
„Politik“ in der Regel „erst einmal ein untergeordnetes Thema“, während das Motiv der Integration „in
einem sozial-beruflichen Umfeld“ im Vordergrund stehe ( Staatsbriefe Nr. 9–10 / 1996 , 19 ). Kuhn , die zu
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619