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III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich
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auch nie einen konkreten Anlass zur Erörterung dieser Frage gegeben habe. So habe
man „einen Streit zwischen Alten Herren und Aktiven über eine Sache vermieden , die
de facto bedeutungslos geworden ist“.291 Die in Beispielen wie diesem dokumentierte
Zurückhaltung ist auch im Zusammenhang mit der bereits erwähnten Rekrutierungs-
praxis der Burschenschaften in Österreich nach 1945 zu sehen. Bei den Oberösterreicher
Germanen wurden etwa zwischen 1969 und Anfang der 1990er-Jahre gerade zwei län-
gerfristige Mitglieder „als ‚Unbedarfte‘ gekeilt ( … ). Alle anderen standen schon vor ih-
rem Einsprung in einer wie auch immer gearteten Beziehung zur Burschenschaft.“292
Insbesondere der hohe Stellenwert der familiären Rekrutierung beugte Konflikten mut-
maßlich nicht nur durch die Verlagerung einer Burschenschafts-adäquaten Erziehung
in den voruniversitären Bereich vor , sondern auch indem er dem Verhältnis von Ak-
tiven und Alten Herren oft im wörtlichen Sinne den Anstrich eines Vater-Sohn-Ver-
hältnisses verlieh. Gleich , ob der Nachwuchs dem Vater nacheiferte , ihm zu gefallen
hoffte oder aber seine Sanktionsmöglichkeiten fürchtete ( die jene des Bundes selbst an
Zahl und Reichweite übertrafen ), konnte dieser Umstand die offene Austragung von
Generationenkonflikten zusätzlich erschweren – im Fall des Falles aber auch mit zu-
sätzlicher Bedeutung und Schärfe aufladen.
Neben der mehr oder weniger bewusst vollzogenen Vermeidung von Konflikten war
autoritäres Durchgreifen eine Option , ihr Auftreten bereits im Keim zu ersticken. Noch
die Aldanen-Chronik von 1994 berichtet zustimmend bzw. ohne erkennbare Distanz
von einem Versuch der Aktivitas 1919 , in die persönliche Autonomie der Alten Her-
ren einzugreifen und ihnen u. a. das Stimmrecht am Burschenconvent zu entziehen.
Einer der davon Betroffenen habe schließlich „der aufmüpfigen Aktivitas in einem
ordentlichen Donnerwetter gehörig die Flügel ( gestutzt ), worauf die Einigkeit bald
wieder hergestellt war“.293 Die Liberten , bei denen sich 1952/53 „scharfe Gegensätze zwi-
schen Jung und Alt“ über den Stellenwert des studentischen Fechtens aufgetan hat-
ten , lösten diesen Konflikt schließlich „radikal“ zugunsten der Altherrenposition , was
insgesamt vier Mitglieder zum Austritt veranlasste.294 Auch hier resümiert der Chro-
nist , dass durch das harte Durchgreifen „die Harmonie im Bund ( wieder ) hergestellt“
worden sei.295 Was hier als „Harmonie“ und im zuvor zitierten Beispiel als „Einig-
keit“ gefasst wird , stellt offensichtlich weniger das Ergebnis demokratischer Aus-
handlungsprozesse und Überzeugungsarbeit dar als vielmehr einen Repressionseffekt
bzw. das Produkt der im Bedarfsfall per Dekret oder „Donnerwetter“ vollzogenen Wil-
lensdurchsetzung der Alten Herren. Harmonie in diesem Sinne herrscht so lange , als
291 Interview vom 8. 6. 2012.
292 Oberösterreicher Germanen 1994 , 19.
293 Aldania 1994 , 80 f.
294 Vgl. Libertas 1967 , 34 f. ( Zitat : 34 ). Vgl. auch ebd., 68.
295 Ebd., 35.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619