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III.5 Wandel und Beharrung
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Widersprüchlichkeit der Jenaer Vereinigung , die etwa auch in den Reden des Wart-
burgfestes von 1817 zum Ausdruck kam.332
Scheichl zufolge hätten die Burschenschaften in Österreich den Übergang von einer
subversiven zu einer „mehr oder minder konservative( n )“, sozialen wie auch gedank-
lichen Umwälzungen eher ablehnend gegenüberstehenden Gruppe schon im 19. Jahr-
hundert vollzogen.333 Dieser Wandel erklärt , weshalb ausgerechnet die Berufung auf
die Anfänge der burschenschaftlichen Bewegung auch als Chiffre für den Wunsch
nach Reform und Veränderung wahrgenommen werden konnte. „Wenn sich eine neu-
gegründete Burschenschaft in Mitteldeutschland [ der ehemaligen DDR , Anm. B. W. ]
zu dem Urburschenschaftlichen [ sic ] Prinzip bekennt ( … ), so wittern wir Konservati-
ven in der DB sofort den Leichengeruch der Prinzipienlosigkeit“334 , vermerkte Gun-
ther Pendl 1991 im internen Mitteilungsblatt seiner Oberösterreicher Germanen. Im All-
gemeinen werden , wie hier von Pendl , als ‚konservativ‘ innerburschenschaftlich jene
Kräfte bezeichnet , die einer grundlegenden Neuausrichtung nach 1945 scharf ableh-
nend gegenüberstanden , als ‚liberal‘ dagegen deren Gegenüber.335 Die 1938er , denen
die meisten österreichischen Bünde eindeutig und die restlichen zumindest der Ten-
denz nach zuzurechnen sind , nahmen den Konservatismusbegriff affirmativ auf , ent-
sprach er doch ihrer Selbstwahrnehmung als Bewahrer der vermeintlich authentischen
burschenschaftlichen Überlieferung. Gegenüber der nicht-burschenschaftlichen Um-
gebung aber ergänzten sie den Konservatismus mit Bezügen auf die rebellische Tradi-
tion der burschenschaftlichen Frühphase. Man sah sich als konservativ und subversiv
zugleich336 , insofern man einerseits konservativen Ideen und Idealen anhing , sich an-
dererseits aber als Opposition zu den politischen Verhältnissen der Zweiten Republik
verstand. Freilich werden im Rahmen des vorliegenden Werks politische Einordnun-
gen weder anhand von Selbstbezeichnungen noch anhand innerburschenschaftlicher
Relationen vollzogen , sondern anhand politisch-ideologischer Merkmale im Kontext
spezifischer gesellschaftlicher Umweltbedingungen. Die 1938er erscheinen anhand die-
ser Kriterien als völkisch-fundamentalistisch bzw. ( wie in weiten Teilen der korporati-
332 Vgl. Schäfer 1996 , hier v. a. 23–32.
333 Germanenmitteilungen , März 1967 , 16.
334 Zit. in Oberösterreicher Germanen 1994 , 166.
335 Vgl. etwa die Burschenschaftlichen Blätter Nr. 5–6 / 1990 , 75. Diese Gegenüberstellung entspricht der ur-
sprünglichen und im angelsächsischen Raum noch heute gültigen Bestimmung von konservativ als Ge-
genbegriff zu liberal
– wobei auch der ‚konservativ‘-burschenschaftlichen Strömung liberale Traditions-
stränge , wie auch immer verschüttet , eingeschrieben sind.
336 Vgl. die Selbstdarstellungsschrift der Burschenschaftlichen Gemeinschaft ( AVSt , Burschenschaftliche Ge-
meinschaft 1976 , 20 ) oder die teilweise offenen Bezugnahmen auf die ‚konservativen Revolutionäre‘ der
Weimarer Republik und ( in Anknüpfung daran ) das strategische Konzept der ‚Neuen Rechten‘ ( Kapi-
tel IV.2.7 ). Als „( w )ertkonservativ ( … ), aber systemrevolutionär“ wollte Hatzenbichler die völkischen
Korporationen positioniert sehen ( Hatzenbichler 1994 , 284 ).
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619