Page - 217 - in „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“ - Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Image of the Page - 217 -
Text of the Page - 217 -
III.5 Wandel und Beharrung
217
Basis dessen manche Debatte , die sich in der DB über Jahrzehnte hinzog , gar nicht erst
zustande kam – so etwa jene über die Aufnahme von Zivildienern in Burschenschaf-
ten ( welche die Österreicher unter Berufung auf das Prinzip der ‚Wehrhaftigkeit‘ ab-
lehnten ).339 Auch ein Sigurd Scheichl wollte , trotz seines Plädoyers für Gegenwarts-
und Zukunftsorientierung , die ‚freiheitlichen‘ Akademiker als „konservative Gruppe“
im Sinne eines „aufgeklärte( n ) Konservativismus“ positionieren.340 Ebenso sahen die
Oberösterreicher Germanen als reformorientiertes Aushängeschild der Österreicher sich
als Teil der „Konservativen“ innerhalb der DB und kritisierten den „merklichen Tradi-
tionsbruch“ dortselbst.341
Über die Beschwörung von Standhaftigkeit ( bzw. auf Ideologie gemünzt : Grund-
satztreue ) schienen die Österreicher den Wertkonservatismus selbst zum Wert zu er-
heben. Nicht nur auf Mensur , sondern auch in der geistigen Auseinandersetzung in
den eigenen Reihen und mit der Außenwelt sollte es kein Aus- und Abweichen geben.
„Auf daß trotz schnödem Weltendrang ,/Nicht wanken wir , noch weichen“, heißt es be-
reits in dem aus den 1870er-Jahren stammenden Farbenlied der Wiener Arminia.342 Die
vorgebliche Erhabenheit über die Entwicklungen der eigenen Umwelt wurde dement-
sprechend nicht als Sturheit oder Reformunfähigkeit problematisiert , sondern als po-
sitives Attribut des Burschenschaftswesens im Sinne von Charakterfestigkeit und Er-
habenheit über ‚zeitgeistige‘ Strömungen verbucht. Über 100 Jahre hinweg hätten die
Burschenschaften „den Charakterlosigkeiten eines alle 10 Jahre wechselnden Zeitgeis-
tes stets den Trotz ihrer burschenschaftlichen Gesinnung entgegengesetzt“ und würden
es „auch in Zukunft so halten“, verkündete der Liberte Peitler 1960.343 Bei den Ober-
germanen warnte Herbert Schuller vor der „Gefahr der Verfälschung unserer Ethik ,
insbesondere dann , wenn sich ihre Träger an gesellschaftliche Tendenzen und Booms
gedankenlos anpassen“.344 Dass die Abwehr von Veränderung nicht bzw. nicht gänz-
lich selbstzweckhaft betrieben wurde , suggeriert eine Einschätzung der DBÖ aus den
1990er-Jahren : „Nur das unerschütterliche Festhalten an ihren Grundsätzen“ habe den
Burschenschaften „ein derart langes Bestehen wider alle [ sic ] Anfeindungen des Zeit-
339 Vgl. zur Behandlung dieser Frage in der DB der 1970er-Jahre Kuhn 2002 , 135–138 und 140–142 ; zur
BG-Position einschließlich argumentativer Bemühung der Urburschenschaft vgl. ebd., 62 f. Keine ( über
zugängliche Quellen nachweisbare ) Debatte gab es auf österreichischer Ebene auch über eine etwaige
Abgrenzung ‚nach rechts‘ ( zur einschlägigen DB-Diskussion vgl. ebd., 63 f., 137 , 143 f. ).
340 Germanenmitteilungen , März 1967 , 18 f.
341 Vgl. Oberösterreicher Germanen 1994 , 166 bzw. 30.
342 Zit. n. Libertas 1967 , 375. Arminia hatte sich 1874 von Libertas abgespalten und ging 1951 wieder in ihr
auf ( vgl. Krause 2007 , 239 ).
343 Zit. in Libertas 1967 , 254. Vgl. für ein sehr ähnliches Beispiel BAK , DB 9 , E. 4 [ A1 ], Niederschrift der
gemeinsamen Sitzung des ADC- und Altherrentages 1959 , 3.
344 Oberösterreicher Germanen 1994 , 114.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619