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III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich
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kämpfe darüber statt , wie man den Anforderungen der Zeit gerecht werden könne.
Stattdessen würden Kritik und Debatten „nicht selten unterbunden“, was zu Erstarrung
führe.400 Mit einer Mischung aus Nachdruck und Entgegenkommen forderte Scheichl
sein Publikum auf , seine Wagenburg zu verlassen : Die Gegenwart verstehen zu wollen
bedeute schließlich nicht , sie bejahen zu müssen , sondern sei vielmehr Voraussetzung
für Interventionsfähigkeit. Falsch sei es , sie allein deshalb abzulehnen , weil einem „ihr
komplizierter Betrieb unsympathisch , ja unheimlich ist“. Es gelte , „aus dem zeitfernen
Exil in das geistige und politische Leben unserer Zeit“ zurückzukehren , wofür es „nun ,
zwei Jahrzehnte nach der Katastrophe , endlich Zeit“ sei.401 Was Scheichls Kritik , von
ihrer Klarheit und Schärfe abgesehen , besonders bemerkenswert und zu einem selte-
nen Einzelfall macht , ist , dass sie selbst vor dem Kern burschenschaftlicher Ideologie
in Österreich – dem völkischen Gedanken – nicht haltmachte. Die „völkische Idee in
ihrer bisherigen Form“ sei , so Scheichl , aufgrund ihrer Verwurzelung „im Irrationalen“
zur Bewältigung der Gegenwart und Gestaltung der Zukunft ungeeignet , eine Biologi-
sierung von Kultur und quasi-religiöse Überhöhung von Nationalgefühl abzulehnen.402
An ihrer statt propagierte Scheichl eine „zeitgemäße nationale Politik“, die anerkenne ,
dass es auch wichtige Fragen jenseits der nationalen gäbe und sich einer Verabsolutie-
rung des Nationalen enthalte.403
Auf die Wirkung von Scheichls Rede wurde bereits in Kapitel II.5.5 ausführlich ein-
gegangen. An dieser Stelle sei lediglich festgehalten , dass ihr sowohl zustimmende als
auch ( teils heftig ) ablehnende Reaktionen zuteilwurden , die zu einem Gutteil Scheichls
Ausführungen über die Kritikabwehr in völkischen Kreisen bestätigten.404 Als Indiz
für das Ausbleiben nachhaltiger Effekte im Sinne des Redners lässt sich ein Text sei-
nes Bundesbruders Werner Riesenhuber von 1968 ( kurz nach der Vertagung der Ver-
bindung ) werten. Die „althergebrachte( ) Form“ habe sich seit der Gründung „nicht im
geringsten geändert“ und stehe in Diskrepanz zu den veränderten Umweltbedingun-
gen.405 Eine Wiederbelebung Germanias werde einerseits „ohne grundlegende Ände-
rungen ( … ) kaum zu machen sein“. Andererseits würden Veränderungen , die sie den
Anforderungen der Zeit gewachsen machten , „von der Burschenschaft von 1815 und
400 Ebd., 8.
401 Ebd., 17 f.
402 Ebd., 12.
403 Ebd., 10. U. a. nennt Scheichl Umwelt , Familie und Entwicklungshilfe als relevante Themenbereiche
jenseits klassisch-völkischer Anliegen im engeren Sinn ( vgl. ebd., 13 f. ).
404 Vgl. ebd., 13. Nach Scheichls Darstellung wurde ihm während der Rede vorübergehend das Mikrophon
abgedreht und sogar erwogen , die Musikkapelle wieder einmarschieren zu lassen , um seine Ausführun-
gen zu unterbrechen – die habe sich allerdings nicht mehr vor Ort befunden ( E-Mail Scheichls vom
10. 2. 2012 ).
405 Germanenmitteilungen , 15. 12. 1968 , 3–6 , hier : 5. Unklar bleibt , ob „Gründung“ sich hier auf die Stiftung
Germanias 1892 oder auf ihre Wiedererrichtung 1952 bezieht.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619