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III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt
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mal mehr die schon mehrfach zitierte Rede von Sigurd Scheichl vor dem Linzer Tag der
freiheitlichen Akademiker 1966 zu nennen. Noch vier Jahre zuvor hatte Scheichl „das
unentwegte Bekenntnis zum deutschen Vaterland und deutschen Volk“ als „Grundlage
( … ) für alle unsere politische , kulturelle und persönliche Tätigkeit“ bekräftigt , allerdings
gleichzeitig auf die Gefahr der Übertreibung hingewiesen.606 In Linz legte er nun zwar
ein Bekenntnis zu einer „zeitgemäße( n ) nationale( n ) Politik“ ab , griff jedoch gleichzei-
tig die Vorrangstellung des völkischen Gedankens frontal an : Die ‚nationale Frage‘ sei
nicht das einzige , langfristig „vielleicht nicht einmal das wichtigste Problem“ in Öster-
reich. „Nichts entspräche der Tradition von 1848 ( … ) weniger“, als sich nur auf „diesen
Fragenkreis“ zu beschränken. Die Geschichte zeige , dass immer , wenn „der nationale
Gedanke zur alleinigen Grundlage einer Ideologie erhoben wurde“, dies „Mißerfolge
und Katastrophen“ gebracht habe.607 Die Erfahrung dessen , „was im Dritten Reich
geschehen ist“, müsse „auch uns hellhörig machen“ für die Gefahren von Missbrauch
und „einseitige( r ) Überbetonung des nationalen Gedankens“. Mit den Schlagwörtern
der „völkischen Träumer , Schönerer , Wilhelm II., Hitler“ sei in der zweiten Hälfte des
20. Jahrhunderts kein Staat mehr zu machen.608 Die Flucht in nationale Bekenntnisse
und der „Rückzug in die Vergangenheit“ seien freilich bequemere Optionen als die
Konfrontation mit komplexen Problemen der modernen Gesellschaft – die Scheichl ,
darin an den kosmopolitischen Strang der frühen Burschenbewegung anknüpfend , als
Weltgesellschaft entwarf , in welcher der Einzelne Verantwortung nicht nur dem eige-
nen Volk , sondern „der gesamten Menschheit gegenüber“ trage.609 Ein klareres oder
früheres Plädoyer für eine Revision der ideologischen Grundlagen burschenschaftli-
cher Politik und damit gegen einen Kurs des ‚Weiter wie bisher‘ war ( in puncto Klar-
heit mit Ausnahme einschlägiger Aussagen Günter Cerwinkas ) für mich in den Quel-
len nicht zu finden. Entsprechend unerhört erschienen Scheichls Überlegungen vielen
Zuhörern – und entsprechend folgenlos verhallten sie.610
Wo ansonsten Kritik geübt wurde , beschränkte diese sich auf die schon erwähnte
Problematisierung einer ‚einseitigen Überbetonung‘ bzw. ‚Verabsolutierung‘ des Nati-
606 Rede zum 70. Stiftungsfest von Germania Innsbruck , Beilage zum Schreiben Scheichls an seine Bundes-
brüder vom 25. 6. 1962 , 7. Niemals , so Scheichl , dürfe „der Dienst an Volk und Vaterland ( … ) das ewige
Sittengesetz , ( … ) die Ordnung von Recht und Freiheit“ außer Kraft setzen. Mit der Überordnung von
Vaterland über Recht ende „das echte Volksgefühl“ und „beginnt der Nationalismus. Wir wissen , daß
wir dieses Extrem in uns tragen wie jede Idee die Möglichkeit ihrer Überspitzung in sich enthält ; doch
kennen wir die Gefahr und müssen daher den Feind in uns ebenso scharf bekämpfen wie unsere Geg-
ner von außen.“ ( Ebd., 10 )
607 Germanenmitteilungen , März 1967 , 10.
608 Ebd., 11.
609 Ebd., 14.
610 Vgl. zu den Publikumsreaktionen die Kapitel II.5.5 und III.5.3.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619