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III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt
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reich bis in die 1960er-Jahre.655 Im Konkreten empörte man sich dabei über Aspekte
des staatstragenden Nationalismus wie die von Unterrichtsminister Hurdes ( ÖVP )
zwischenzeitig veranlasste Ersetzung des Schulfaches ‚Deutsch‘ durch ‚Unterrichts-
sprache‘ , die Einführung eines ‚Österreich-Wörterbuchs‘ , die Gründung eines Österrei-
chischen Nationalinstituts 1965 oder die Umbenennung des ‚Tages der Fahne‘ in ‚Na-
tionalfeiertag‘ im selben Jahr.656
Sowohl zur Untermauerung ihrer Ablehnung der ‚österreichischen Nation‘ als auch
zur Entkräftung darauf gründender Zweifel an ihrer Loyalität zum Staat Österreich
verwiesen die Burschenschaften darauf , dass ihr Begriff von ‚Vaterland‘ „auf dem mit-
teleuropäischen Konzept der volkstumsbezogenen Kulturnation“ beruhe und somit
von Staatsgrenzen unabhängig sei.657 Nach außen hin weniger betont wurde dagegen
die über die bloße Unterscheidung hinausgehende burschenschaftliche „Erkenntnis ,
daß das Volk über dem Staate steht“.658 Innerhalb des Burschenschaftswesens war
dieser ‚volkstumsbezogene Vaterlandsbegriff ‘ durchaus umstritten – allerdings nur in
Deutschland. Während die BG als Zusammenschluss der völkisch-fundamentalistisch
dominierten Bünde ihn gleich im ersten Satz ihres Gründungsprotokolls verankerte659 ,
wollte manch bundesdeutscher Bund nach 1945 Deutschland lieber mit der Bundesrepu-
blik identifiziert sehen. Diese von ihren Kritikern als ‚etatistisch‘ bezeichnete Position
konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Im Zuge des sogenannten historischen Kompro-
misses von 1971 stellte die DB sich auf den völkischen Standpunkt und ergänzte ihre
Verfassung um ein Bekenntnis „zum deutschen Vaterland als der geistig-kulturellen
Heimat des deutschen Volkes. Unter dem Volk versteht sie [ die DB , Anm. B. W. ] die
Gemeinschaft , die durch gleiches geschichtliches Schicksal , gleiche Kultur , verwandtes
Brauchtum und gleiche Sprache verbunden ist.“660 Lönnecker zufolge stand der Streit
um die Definition des ‚deutschen Vaterlandes‘ auch im Kern der innerburschenschaft-
lichen Kontroverse um das Geschichtsbild der DB ( vgl. Kapitel II.5.2 ).661 Folgt man
655 Cerwinka 2009 , 101. Vgl. auch Stimmers Einstufung der „Idee von Österreich als ‚deutschem Staat‘ “
und in der „konsequente( n ) Negierung einer eigenen österreichischen Nation“ als die „gemeinsamen
politischen Leitideen aller sich nach 1945 wieder reaktivierenden nationalen Korporationen und Ver-
eine“ ( Stimmer 1997 , Band II , 1000 ).
656 Vgl. etwa Libertas 1967 , 5 , 19 und 112 f. Zu den praktischen Ausdrucksformen des burschenschaftlichen
Kampfes gegen die ‚österreichische Nation‘ vgl. Kapitel IV.2.2.
657 AVSt , DBÖ 1994 , 28.
658 Suevia 1958 , 12.
659 Vgl. AVSt , Burschenschaftliche Gemeinschaft 1976 , 35.
660 BAK , DB 9 , B. VI., Burschentage ( a ), Arbeitsunterlagen zum DB-Burschentag 1971 , 11. Dieser Formel
wurde 1971 der zuvor erwähnte Zusatz über die „freie Entfaltung deutschen Volkstums“ in Europa an-
gefügt ( zit. n. Lönnecker 2009b , 312 ).
661 Lönnecker 2009b , 312. Auch die Frage der Aufnahme von Männern deutscher Staatsbürgerschaft bei
‚nicht-deutscher‘ Abstammung war damit verbunden.
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619