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III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich
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österreichischer Studenten und Akademiker nicht zuletzt in der Verteidigung bereits
erworbener Privilegien : Zum einen gegen die aufkommende ArbeiterInnenbewegung ,
zum anderen – vor dem Hintergrund einsetzender Akademikerarbeitslosigkeit – ge-
gen die Konkurrenz aus anderen Teilen der Monarchie zugezogener Standesgenossen.
In beiderlei Hinsicht erwiesen sich Nationalismus , Rassismus und Antisemitismus als
dienlich : als Gegenentwurf zum Klassenkampf ebenso wie als argumentativer Fundus
zur Reklamierung bzw. Legitimierung der eigenen Vormachtstellung.
Dieses letztgenannte Beispiel verweist auf eine weitere Ursachendimension des
Nationalismus : individuelle psychische Bedürfnisse , die selbst das Produkt sozialer
Verhältnisse sind und die bereits angesprochenen sozialpsychologischen Aspekte er-
gänzen. Kapitalistische Konkurrenz bringt ( rationale ) Angst vor Ersetzbarkeit und
sozialem Abstieg mit sich , die dem Individuum abgeforderte Unterwerfung unter
staatliche Macht und ökonomische Zwänge begründet ( ebenso rationale ) Ohnmachts-
gefühle. Nationalismus erscheint vor diesem Hintergrund als Bewältigungsstrategie :
Er verheißt dem Individuum Aufwertung durch Zugehörigkeit zu einem größeren
Ganzen und erleichtert ihm erwähnte Unterwerfung bzw. lässt sie über die Identifi-
kation mit dem nationalen Kollektiv sogar als Machtzuwachs erleben.705 Diese Wir-
kung setzt allerdings die Verinnerlichung der Identifikation voraus. Dementsprechend
ist der idealtypische Burschenschafter , ungeachtet aller Funktionalität nationalisti-
schen Denkens , von der Existenz des Volkes und spezifischer Volksinteressen auf-
richtig überzeugt und insofern mehr als Ideologisierter denn als Ideologe zu begrei-
fen. Sowohl psychische Momente als auch ökonomische Interessen können somit die
Anfälligkeit von Individuen und Gruppen für Nationalismus erhöhen. Sie tun dies
unabhängig voneinander oder wirken bei der Plausibilisierung nationalistischer Er-
zählungen bzw. Rahmungen sozialer Wirklichkeit zusammen. So kann materielles
Interesse eine zusätzliche Rationalisierung für nationalistische Aufwertungsversuche
im August 1848 im Wiener Prater ein Massaker an protestierenden ArbeiterInnen veranstaltete ( vgl.
Bach 1898 , 653–656 ). Vgl. zum Verhältnis von Studenten- und ArbeiterInnenschaft in und nach der
Revolte von 1848 auch Stimmer 1975 , v. a. 260 f. und 263 ; Frey 1983 , 78–80 , 135 , 139 , 203 und 258 ; Kon-
rad 1998 ; sowie Medinger 1986. Vielsagenderweise bemängelt der Aldanen-Chronist an der vorherr-
schenden ( nicht-burschenschaftlichen ) Darstellung von 1848 , dass „die erst später dazugestoßenen
Arbeiter in den Vordergrund“ gedrängt würden. „Die nationale Revolution wird zur sozialen Revo-
lution umgedeutet.“ ( Aldania 1994 , 14 )
705 Vgl. Gruber 1998 , ( v. a. ) 6–8 ; Schiedel 2007 , 35 ; hierzu wie generell zu den unbewussten Funktionen
des Männerbundes vgl. Schiedel/Wollner 2009 und die dortigen Literaturhinweise. Mit Blick auf
die Burschenschaften als akademische Eliten ist auch auf das spezifische Phänomen der ( rassisti-
schen oder anderweitigen ) Abwertung von Menschengruppen durch Privilegierte hinzuweisen , dass
sich als Ausdruck nicht nur einer vergleichsweise hohen sozialen Fallhöhe , sondern auch bestimm-
ter Werthaltungen wie Leistungs- und Karriereorientierung deuten lässt ( vgl. Rommelspacher 1995 ,
86 und IKG 2010 , 5 ).
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619