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III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt
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genommen , noch bevor Wagner seine Zeilen zu Papier bringen konnte : Entgegen der
bei ihm immerhin zugestandenen Freude an der Sache beschwor Ernst Moritz Arndt ,
geistiger Wegbereiter der Urburschenschaft , in deren Gründungsjahr 1815 den Opfer-
tod selbst als eigentliche Quelle „deutsche( r ) Lust“.710 Jener Lustgewinn , den die Be-
reitschaft zum totalen Aufgehen in Ideal und Kollektiv verschafft , besteht in der damit
einhergehenden narzisstischen Befriedigung und der gleichzeitigen Entbindung von der
als belastend empfundenen moralischen Autonomie ( vgl. dazu auch Abschnitt III.8.5 ).
Als Resümee über das vorliegende Unterkapitel lässt sich festhalten , dass die Bur-
schenschaften in Österreich in der Zweiten Republik nicht nur an ihrem Deutsch-
tumsbekenntnis fest- , sondern auch den völkischen Nationalismus als Angelpunkt ih-
rer Weltsicht und politischen Praxis beibehielten. Gekränkter kollektiver Narzissmus
und Reflexionsabwehr , die spezifisch burschenschaftlichen Vorstellungen von Tugend-
haftigkeit und der Opportunismus vieler vormaliger Anhänger der deutschnationalen
Idee begünstigten diese Beharrungsreaktion. Während die Burschenschaften sich ei-
nerseits pragmatisch mit der Faktizität der österreichischen Eigenstaatlichkeit arran-
gierten ( und teilweise sogar deren Notwendigkeit zu begründen suchten ), erblickten
sie andererseits in der Bewahrung und ( Re-)Popularisierung der Idee vom ‚deutschen
Österreich‘ ihre maßgebliche Bestimmung nach 1945
– und legten bei der Wahl rechts-
konformer Umschreibungen ihres großdeutschen Strebens einige Kreativität an den
Tag. Wenngleich im 21. Jahrhundert die staatliche Souveränität Österreichs im bur-
schenschaftlichen Feld kaum mehr ernsthaft infrage gestellt ( sondern eher gegen den
historischen Großtrend der Europäisierung verteidigt ) wird , ist das deutsch-völkische
Bekenntnis dortselbst ungebrochen. Die Bezeichnung Österreichs als „( u )nser Natio-
nalstaat“, die dem Burschenschafter ( Allemannia Graz ) und RFS-Spitzenkandidaten
bei der ÖH-Wahl 2011 , Oskar Polak , über die Lippen ging , widerspiegelt wohl weni-
ger eine tatsächliche Positionsveränderung als vielmehr ein Abbröckeln der Kenntnisse
über die eigenen ideologischen Grundlagen aufseiten des burschenschaftlichen Nach-
wuchses.711 Sollte dieser Erosionsprozess sich als nachhaltig erweisen , ist auch die Zu-
kunft des burschenschaftlichen Ethos der Selbstverleugnung zugunsten höherer Ideale
ungewiss , der tatsächliche materielle Interessenlagen des individuellen Burschenschaf-
ters ebenso zu neutralisieren wie auch zu verdecken imstande ist.
710 Für „Freiheit ( … ) zu leben und zu sterben , das flammt durch jede deutsche Brust ;/für sie um hohen
Tod zu werben , ist deutsche Ehre , deutsche Lust“, heißt es in der vierten Strophe von Arndts ‚Bundes-
lied‘ , das – geläufiger unter dem Titel ‚Sind wir vereint zur guten Stunde‘ – noch heute zu den auf bur-
schenschaftlichen Veranstaltungen am häufigsten gesungenen Titeln zählt. Über die Anhänger eines
weiteren Vordenkers der Burschenbewegung , Johann Gottlieb Fichte , schrieb Heine in satirischer Ab-
sicht , sie wären „in ihrem Willens-Fanatismus weder durch Furcht noch durch Eigennutz zu bändigen
( … ); denn sie leben im Geist , sie trotzen der Materie“ ( Heine 1861 , 265 ).
711 http://mokant.at/1105-rfs-julis-oeh-wahl-html ( Interview vom 24. 5. 2011 , Sofia Khomenko ).
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619