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IV. Praxis burschenschaftlicher Politik
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heute die in burschenschaftlichen Kreisen in Österreich dominante Sichtweise auf die
in Südtirol / Alto Adige von deutsch-völkischer Seite ausgeübte politische Gewalt. Die
handelnden Personen werden dementsprechend weiterhin als „tollkühne( ) Burschen“464
erinnert und als Vorbilder propagiert465 , wobei auch den fanatischsten Protagonisten
des völkischen Eskalationskurses derlei Anerkennung nicht versagt bleibt466. Die posi-
tive Bewertung der Gewaltakte hat ihre Rechtfertigung zur Voraussetzung , wobei die
einschlägigen Argumentationslinien so alt sind wie der Terror selbst. So wird etwa die
Verantwortung für eigene Taten über die Reklamierung eines „Notwehrrecht( s )“ an
die Gegenseite abgeschoben :
Schuld an dem Blut und den Tränen , die heute im Zusammenhang mit Südtirol fließen
–
gleichgültig auf welcher Seite – , haben ausschließlich jene , die das Unrecht der Bren-
nergrenze geschaffen haben und dulden. Nicht der Beraubte und Unterdrückte , der sich
wehrt , ist schuld , sondern der Räuber und all jene , die den Räuber direkt oder indirekt
unterstützen.467
Diese Sichtweise wurde von Burschenschaftern auch vor österreichischen Gerichten
erfolgreich vertreten. Hartung reklamiert als burschenschaftliches bzw. waffenstudenti-
sches Verdienst , von der Angeklagtenbank aus ( so v. a. im Grazer Südtirolprozess 1965 )
erfolgreich einen „schuld- und strafausschließenden Notstand“ in Südtirol / Alto Adige
geltend gemacht und damit „den ganzen Freiheitskampf vom Odium des kriminellen
Verbrechens befreit( )“ zu haben.468
Die zweite zentrale Legitimationsvariante stützt sich auf die vermeintlichen Er-
folge des Terrors : Nur „( u )nter dem Druck der Anschläge“ habe Italien die Neun-
zehner-Kommission eingesetzt. Unter Ausblendung der geschichtswissenschaftlichen
Diskussionen der letzten Jahrzehnte sieht Schweinberger es gar als „unwidersprochen“
an , dass es ohne die ‚Feuernacht‘ „auch diese unzureichende Autonomieregelung ( … )
wohl nicht gegeben“ hätte.469 In der wissenschaftlichen Debatte dominiert dagegen
die Einschätzung , dass die Verhandlungserfolge eher dem Terror zum Trotz als seinet-
wegen erzielt werden konnten.470 Ein drittes gängiges Rechtfertigungsmanöver besteht
464 Schweinberger 2009 , 112.
465 Vgl. z. B. Aula Nr. 7–8 / 1977 , 6 ; Dvorak 1996 , 53 ; Albia 2005 , 18 ; F. Stefan 2009 , 11.
466 Vgl. etwa Martin Grafs Respektsbezeugung für Norbert Burger in Format Nr. 21/2000 ( S. 50 ).
467 Burger in der Deutschen Wochen-Zeitung vom 21. 7. 1968. Vgl. ähnlich Aldania 1994 , 184.
468 Aula Nr. 7–8 / 1977 , 5.
469 Schweinberger 2009 , 114 bzw. 118 , ähnlich Nachtmann 1985 , 325 , prägnant Burger : „Ohne unsere Bom-
ben wäre Magnagos Autonomie ein Furz im Wind“ ( zit. n. Gehler 1997b , 374 ; Silvius Magnago war von
1961 bis 1989 Südtiroler Landeshauptmann ).
470 Vgl. etwa Rathkolb 1998 , v. a. 41–44 ; Steininger 2004 , 491 f. Michael Gehler zufolge hätten die Bomben
es „Italien vielfach ( erleichtert ), auf die österreichischen und Südtiroler Forderungen nicht einzugehen
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619