Page - 444 - in „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“ - Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Image of the Page - 444 -
Text of the Page - 444 -
V. Burschenschaften und politische Parteien
444
der ideologisch dominante Strang des Burschenschaftswesens der Zweiten Republik
geradezu als antiliberal zu charakterisieren ist , unterstreicht die analytische Fragwür-
digkeit und politische Überdeterminiertheit von Wandruszkas Ansatz und begründet
meine Reserviertheit gegenüber dem Begriff des ‚Dritten Lagers‘.5
Stärker als in den bisherigen Kapiteln nehme ich das völkische Verbindungswesen
in diesem in seiner Gesamtheit , d. h. über den Korporationstyp der akademischen Bur-
schenschaft hinaus in den Blick , weil dadurch ein datengesättigteres und nuancenreiche-
res Bild gezeichnet werden kann.6 In einem ersten Teil gehe ich der populären These von
den völkischen Korporationen als ‚Kaderschmieden‘ anhand einer statistischen Auswer-
tung zur Präsenz von Verbindungsstudenten in gehobenen Funktionen in der ( bzw. für
die ) FPÖ und ihrem Vorläufer Verband der Unabhängigen ( VdU ) nach. Damit sollen erste
Aufschlüsse sowohl über die Bedeutung des Verbindungswesens für diese Parteien ( und
vice versa ) als auch über die Entwicklung seiner Beziehungen zu diesen über die Zeit ge-
wonnen werden. Im Anschluss an eine kurze Erörterung der den hierbei sich ergeben-
den Befunden widersprechenden Selbstdarstellung des völkischen Korporationswesens
als überparteilich soll die Parteigeschichte der FPÖ unter dem Aspekt verbindungsstu-
dentischer Beteiligung und Einflussnahme gerafft nachgezeichnet werden. Besonderes
Augenmerk wird dabei der Rolle der völkischen Verbindungen und ihrer Exponenten in
innerparteilichen Flügelkämpfen ( ‚national vs. liberal‘ ) und damit verbundenen Perso-
nalfragen , in der Programmentwicklung der FPÖ und in ausgewählten Politikbereichen
zuteil , ebenso wie der Frage nach dem verbindungsstudentischen Einfluss auf die Ori-
entierung der FPÖ gegenüber den beiden ‚Großparteien‘ SPÖ und ÖVP.
5 KritikerInnen wie Fritzl/Uitz ( 1975 , 325–330 ) oder Lehnert ( 1995 , v. a. 435–441 ) haben u. a. hinterfragt , dass
der Autor KommunistInnen und SozialdemokratInnen in einem Block zusammenfasst , ihnen aber trotz
realer historischer Allianzbildungen keinen ebenso einheitlichen bürgerlichen Block gegenüberstellt , son-
dern Christlich-Konservative von ‚Nationalen‘ trennt. Auch die auf bloß negativer Grundlage ( der gemein-
samen GegnerInnenschaft zu Sozialismus und Klerikalismus ) aufruhende Zusammenfassung von Liberalen
und ‚Nationalen‘ bis hin zum äußersten ( und klar antiliberalen ) rechten Rand ist zu Recht kritisiert worden.
Plausiblerweise wurden dahinter
– vor dem Hintergrund von Wandruszkas Vergangenheit als illegaler Nati-
onalsozialist
– spezifische politische Interessen geortet : Die Lagertheorie diene der Legitimierung der ‚Na-
tionalen‘ über 1945 hinaus durch Kooptierung des von ihnen historisch teilweise bekämpften Liberalismus
und durch ihre Darstellung als Teil einer gottgewollten Ordnung , die vom Nationalsozialismus unterbro-
chen und somit in der Zweiten Republik legitimerweise wiederhergestellt worden sei. Die ideengeschicht-
lichen ( und oft auch personellen ) Kontinuitäten zwischen Vorkriegs-‚Völkischen‘ , NationalsozialistInnen
und Nachkriegs-‚Nationalen‘ müssen in dieser Argumentation weitgehend ausgeblendet bleiben.
6 Zudem entspricht diese Herangehensweise der Wahrnehmung jedenfalls nichtkorporierter Freiheitlicher
vom völkischen Verbindungswesen insgesamt als politischer Faktor in der und für die ( jeweilige ) Partei. Dies
ergaben etwa das Interview mit Christian Allesch vom 13. 11. 2009 und in besonders eindrücklicher Weise der
Text des langjährigen FPÖ-Bundesobmannes Friedrich Peter 1998. Für den VdU vgl. etwa die Autobiogra-
phie des Parteigründers Herbert Kraus , der zwar von „Burschenschaften“ spricht , damit aber offenkundig
das gesamte deutschnationale Korporationswesen meint ( Kraus 1988 , 274 ; vgl. auch ebd., 205 , 269 und 278 ).
„ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- „ IM NATIONALEN ABWEHRKAMPF DER GRENZLANDDEUTSCHEN“
- Subtitle
- Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945
- Author
- Bernhard Weidinger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79600-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 634
- Keywords
- Burschenschaft, Studentenverbindung, Männerbund, Deutschnationalismus, Nationalismus, Rechtsextremismus, Konservatismus, Südtirol, Hochschulpolitik, VDU (Verband der Unabhängigen), FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- I. Einleitung 11
- II. Nationalsozialismus und postnazistische Restauration 45
- II.1 Völkische Korporierte im (und für den) Nationalsozialismus 45
- II.2 Korporationen und ‚Entnazifizierung‘ 52
- II.3 Die Wiedererrichtung der Bünde 56
- II.4 Rückeroberung von Öffentlichkeit 71
- II.5 Burschenschaftliche Vergangenheitsbewältigung 80
- II.5.1 Die erste Bestandsaufnahme Günther Berkas (1950/51) 83
- II.5.2 Die Auseinandersetzung um das ‚burschenschaftliche Geschichtsbild‘ (ab 1956) 90
- II.5.3 Burschenschaftliche Gedenkpolitik 96
- Exkurs: Zur Spezifik burschenschaftlicher Vergangenheitsbewältigung in Österreich 107
- II.5.4 Die Feldpost-Anthologie der Oberösterreicher Germanen (1967) 110
- Exkurs: Die Sprache der Vergangenheit 112
- II.5.5 Generationenverhältnis zwischen Konflikt und Konformismus 114
- II.5.6 Vergangenheitsbewältigung um die Jahrtausendwende 124
- II.5.7 Schlussbetrachtungen 127
- III. Burschenschaftliche Ideologie in Österreich 133
- III.1 Die Burschenschaften in Österreich als politische Vereinigungen 133
- III.2 Der burschenschaftliche Auftrag an den Einzelnen 150
- III.3 Burschenschaftliche Erziehung 164
- III.3.1 Der burschenschaftliche Erziehungsauftrag 164
- III.3.2 Ebenen und Orte burschenschaftlicher Erziehung 171
- III.3.3 Funktionen und Konsequenzen 177
- III.4 Politisch-ideologische Heterogenität und burschenschaftlicher Corpsgeist 181
- III.4.1 Meinungsvielfalt und -hegemonie 181
- Exkurs: Zur relativen Abweichung der Oberösterreicher Germanen 186
- III.4.2 Konflikt und Kontroversen 191
- III.4.3 Die Außenwahrnehmung: Burschenschaften als Monolith 201
- III.4.4 Ursachen und Folgen burschenschaftlicher ‚Geschlossenheit‘ 210
- III.5 Wandel und Beharrung 213
- III.5.1 Burschenschaften zwischen Avantgarde und Reaktion 214
- III.5.2 Die Restaurationsphase: weiter (fast) wie bisher 220
- III.5.3 Die 1960er-Jahre: Weckrufe und Reformanläufe 225
- III.5.4 Der Streit um die Ehrenordnung 229
- Exkurs: Das Duellwesen in Österreich nach 1945 232
- III.5.5 Die 1970er-Jahre: Aufbruchsstimmung und Backlash 233
- III.5.6 Gründe der Wandlungsresistenz 236
- III.6 Selbstbild: Gegen-Elite 249
- III.7 Völkischer Nationalismus als weltanschaulicher Angelpunkt 273
- III.8 Burschenschaften und Demokratie 302
- III.8.4 Der Einzelbund: ein ‚Parlament im Kleinen‘? 319
- III.8.5 Individuum und Kollektiv 326
- IV. Praxis burschenschaftlicher Politik 335
- IV.1 Burschenschaftliche Betätigung im politischen Sinn 335
- IV.2 Burschenschaftliche Betätigung im metapolitischen Sinn 355
- IV.2.1 Gegen ‚Zeitgeist‘ und ‚Umerziehung‘: Frühe burschenschaftliche Metapolitik 355
- IV.2.2 Wider die ‚österreichische Nation‘ 360
- IV.2.3 Gegen ‚Geschichtslügen‘: Burschenschaftliche Geschichtspolitik 365
- IV.2.4 Einsatz für ‚das Deutschtum‘: die ‚Volkstumspolitik‘ der Burschenschaften 374
- IV.2.5 ‚ Nach außen wirken‘: burschenschaftliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit 377
- IV.2.6 ‚Neue Rechte‘ gegen ‚Neue Linke‘? 386
- IV.2.7 Rezeption der ‚Neuen Rechten‘ 399
- IV.2.8 Burschenschaftliche Metapolitik um die Jahrtausendwende 412
- IV.3 Burschenschaftliche Südtirol-Politik 416
- V. Burschenschaften und politische Parteien 443
- V.1 Völkische Korporationen als freiheitliche Kaderschmieden: eine statistische Annäherung 448
- V.2 Zur Überparteilichkeit des Burschenschaftswesens in Österreich 476
- V.3 Flügelkämpfe und Personaldebatten 489
- V.4 Programmatik und Policy-Ebene 511
- V.5 Parteienkooperation und Koalitionsoptionen 521
- V.6 Funktionen der FPÖ für die völkischen Korporationen 532
- V.7 Funktionen des völkischen Korporationswesens für die FPÖ 541
- V.8 Völkische Verbindungen und FPÖ: prekäre Interessengemeinschaft auf Gegenseitigkeit 550
- VI. Abschließende Überlegungen 557
- Anhang
- Literatur, publizierte Quellen, Chroniken und Festschriften 581
- Archive und Archivalien 603
- Verbindungsstudentische, völkische und freiheitliche Periodika 608
- Tabelle und Diagramme 609
- Zitierte eigene Interviews 609
- Abkürzungsverzeichnis 610
- Glossar: Organisationen, Organe, verbindungsstudentische Begriffe 612
- Personenregister 619