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Kirche und Habitusentwicklung in
Kärnten82
in diesen Bevölkerungsteilen nicht nachhaltig verbreiten konnte. Dementsprechend
haben sich dort, wie auch in Krain, altes Brauchtum und Wallfahrtswesen hartnäckig
gehalten.109 Die einzige slowenischsprachige Gemeinde in Kärnten, die sich auch
nach dem Toleranzpatent Josephs II. 1781 als protestantisch deklarierte, ist das bei
Arnoldstein gelegene Dorf Agoritschach.110
Die Widerstandshaltung gegen die kirchliche wie weltliche Obrigkeit, die den
Kärntner Habitus besonders kennzeichnet, lässt sich für diese Zeit an zwei einfluss-
reichen und radikalen Sonderformen ablesen, die aus der Reformation hervorgingen :
der Täuferbewegung und der Bewegung der Flacianer. Die Täufer mit ihren hohen
ethischen Ansprüchen111 opponierten gegen die »alte« Kirche ebenso wie gegen den
Versuch der »Umwandlung der Reformation von einer demokratischen Volksbewe-
gung in eine obrigkeitsstaatliche Kirchenreform«112. Sie dürften neben Tirol auch in
Oberkärnten eines ihrer Hauptverbreitungsgebiete gefunden haben.113
Die Bewegung der Flacianer, deren Name auf den kroatischstämmigen Theolo-
gen Matthias Flacius (1520–1575) zurückgeht, gewann ebenfalls in einigen Ober-
kärntner Gemeinden an Einfluss. Ihre den gemäßigten Lutheranern entgegenlau-
fende Erbsündentheologie114 führte zu einer starken Jenseitsorientierung, »woraus
sich, wie einst bei den Wiedertäufern, die Tendenz zur Ablehnung der Welt und
damit aller weltlichen und kirchlichen Obrigkeiten ergeben habe.«115 Die Radikalität
der Flacianer bewegte die Stände zur Ausweisung ihrer Prediger – unter heftigen
Protesten von einigen Bauern, die zum Teil ausgewiesene flacianische Prediger ver-
steckten. »Kärnten scheint unter allen österreichischen Ländern die hartnäckigsten
und bekenntnismutigsten Flacianer beherbergt zu haben. Nur Oberösterreich ist
hier vergleichbar.«116
109 Leeb, R.: Die Reformation (2011), 102 f.
110 Fräss-Ehrfeld, C.: Die ständische Epoche (1994), 405.
111 So illustriert bereits der aus einem hutterischen Brief entnommene Aufsatztitel Astrid von Schlachtas
die Haltung der Täufer zu den in ihren Augen gotteslästerlichen Bewohnern und Bewohnerinnen von
Klagenfurt : »Eine Taube könnte alle Christen, die in der Stadt Klagenfurt sind, auf dem Rücken über
die Ringmauer ausführen.« Schlachta, A. v.: Taube (2011), 189–201.
112 Höllinger, F.: Volksreligion und Herrschaftskirche (1996), 150.
113 Womöglich wurde der berühmte Führer einer dieser Bewegungen, Jakob Huter, in Oberkärnten
getauft. Leeb, R.: Reformation (2000), 208.
114 Es ging dabei um die aus dem scholastischem Denken entsprungene Frage, ob die Erbsünde substan-
ziell (Position der Flacianer) oder nur akzidentiell (Position der gemäßigten Lutheraner, angeführt
von Melanchton) aufzufassen sei. In Kärnten wurde die erste Position vom Villacher Pfarrer Johann
Hauser propagiert und zu einem heftigen Disput mit gemäßigten Vertretern ausgeweitet. Fräss-Ehr-
feld, C.: Die ständische Epoche (1994), 393–400.
115 Ebd., 396.
116 Besonders in Oberkärnten eskalierte die Situation nach dem Absetzungsversuch einiger flacianischer
Prediger. So berichten zeitgenössische Quellen, das sich Hunderte Bauern zur Wehr gesetzt und die
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353