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139Hinführung
von Staat und Kirche empfunden. Häufig wurde konstatiert, es handle sich beim
Konkordat um die »Wiedereinführung« eines 1918 aufgehobenen Vertragswerkes,
was sachlich unzutreffend ist. Das vorangegangene Konkordat von 1855 war 1870
vonseiten Österreichs gekündigt worden, das Konkordat von 1933/34 räumte der
Kirche besonders in Schulfragen weitaus weniger Rechte ein als jenes von 1855.56
Insofern hat Erika Weinzierl darauf hingewiesen, »dass das Konkordat von seinen
Gegnerinnen und Gegnern in seinem juristischen Gehalt überschätzt wurde.«57 Das
Konkordat war bereits vor der Errichtung des »Ständestaates« auf Schiene und be-
reits in Dollfuß’ Vorgängerregierung im Regierungsprogramm ; die Unterzeichnung
in Rom erfolgte am 5. Juni 1933. Sie war Auftakt einer Reihe von kirchenfreundli-
chen Gesetzesmaßnahmen der Regierung, wie die Auflösung des Freidenkerbundes,
die Einführung von Schulgottesdiensten zu Beginn und Ende des Schuljahres so-
wie die massive Erschwernis des Kirchenaustritts.58 Bereits vor der Unterzeichnung
sorgte die Aufhebung des sogenannten Glöckel-Erlasses am 10. April 1933 für Em-
pörung bei der Opposition. Mit dem Glöckel-Erlass wurde 1919 die verpflichtende
Teilnahme an den religiösen Übungen und am Religionsunterricht ausgesetzt. Nach
Aufhebung des Erlasses durch Unterrichtsminister Anton Rintelen waren beide Ele-
mente also wieder Bestandteil der Schulpflicht.59
Als eine einschneidende Neuerung des Konkordats wurde das Eherecht empfun-
den, da es den Spielraum für Dispens vom Hindernis des bestehenden Ehebandes für
geschiedene Katholiken und Katholikinnen einengte.60 Im Schulwesen war es dem
Episkopat möglich, sittlich-religiöse Missstände in den Schulen zu beanstanden.61
Darüber hinaus wurde die Normierung der staatlichen Aufsicht über die Kirchenfi-
nanzierung beseitigt sowie die Erhaltung katholisch-theologischer Fakultäten garan-
tiert. Die eigentliche Ratifikation des Konkordats erfolgte am 1. Mai 1934.62
Am selben Tag trat auch die überarbeitete ständestaatliche Verfassung in Kraft,
die bereits in der Präambel einen klar religiösen Bezug herstellt : »Im Namen
Got tes, des Allmächtigen, von dem alles Recht ausgeht, erhält das österreichische
56 Schima, S.: Überschätzt (2012), 42 f.
57 Erika Weinzierl, zit. in ebd., 43.
58 Ebd., 43–47.
59 Hanisch, E.: Der Politische Katholizismus (1988), 60.
60 Konnten geschiedene Katholiken und Katholikinnen zuvor wieder heiraten, wenn sie in der entspre-
chenden Landesstelle eine Dispens vom »Hindernis des bestehenden Ehebandes« (wie sie der sozial-
demokratische niederösterreichische Landeshauptmann Albert Sever ausgiebig gewährte) einholten,
war der Spielraum dafür nun nicht mehr gegeben. Schima, S.: Überschätzt (2012), 48–50.
61 Das Konkordat regelt jedoch nicht die Anbringung von Kreuzen in den Klassenzimmern. Ebd., 50.
62 Man trat am 30. April zur Ratifikation zusammen, tatsächlich unterzeichnete Bundespräsident Miklas
am 1. Mai um 0 :05 Uhr. Ebd., 47.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353