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Kirche und Habitus im »Christlichen
Ständestaat«166
Das Selbstbewußtsein Österreichs wurde [am Katholikentag, Anm. d. Verf.] gestärkt durch
die Erinnerung an seine große geschichtliche Vergangenheit und durch die Gedächtnisfeier
des Sieges über die Türken, den Erbfeind der Christenheit. […] [S]o erwies der Katho-
likentag neuerdings die Aufgabe Österreichs, im Reiche Gottes auf Erden ein Bollwerk
des katholischen Glaubens zu sein. Diesem Gedanken verliehen dann auch Präsident und
Bundeskanzler als Vertreter unseres Staates überzeugten Ausdruck. Offen und rückhaltlos
bekannten sie sich zum katholischen Glauben und bezeichneten es als ihre Aufgabe und
als ihren Willen, ein nach christlichen Grundsätzen geleitetes Staatswesen zu errichten.
Im Stadion (9. Sept.) erklärte unser Bundeskanzler mit echt katholischem Bekennermut :
›Wir wollen einen christlich167 deutschen Staat in unserer Heimat errichten. Die jetzige
Regierung ist einmütig entschlossen, im christlich deutschen Geist die Erneuerung von
Staat und Wirtschaft in die Wege zu leiten. Wir werden ständische Formen und ständische
Grundlagen zur Grundlage des Verfassungslebens nehmen. Wir – ein kleines deutsches
Land – haben den Ehrgeiz, das erste Land zu sein, das dem Rufe der herrlichen Enzyklika
›Quadragesimo anno‹ wirklich im Staatsleben Folge leistet.‹168
Die Rechtmäßigkeit des »gottgefälligen« Regimes sollte nicht nur durch Dollfuß’
eigenen Hinweis auf die päpstliche Enzyklika gestützt, sondern auch durch ein Zitat
Papst Pius’ XI., in dem er sich über den österreichischen Katholizismus und Bundes-
kanzler Dollfuß äußert, unterstrichen werden :
So äußerte am 7. Oktober der Papst einem österreichischen Pilgerzug gegenüber : ›Es ist
meinem Herzen ein großer Trost, feststellen zu können, daß der lebendige Glaube des ös-
terreichischen Volkes und seine auf alter Überlieferung beruhende Treue zum Stuhle Petri
eine so kraftvolle Bestätigung gefunden hat, indem Österreich in klarer und weithin ver-
nehmbarer Weise vor der großen Welt durch den Mund seines Bundeskanzlers Dr. Dollfuß
den Entschluß kundgegeben hat, daß es den Staat auf den Grundlagen der katholischen
Lehre neu aufbauen wolle.‹169
Darüber hinaus wird das gewaltsame Vorgehen der Regierung gegen politische Geg-
ner unmissverständlich gebilligt und der Regierung die moralische Unterstützung
durch die Kirche ausgesprochen.
Die staatliche Obrigkeit hat […] das Recht, ungerechte Gewalt mit gerechter Strafgewalt,
nötigenfalls auch mit Todesstrafe zu ahnden, um Leben und Sicherheit der friedlichen Be-
völkerung wirksam zu schützen. Wenn dabei nach wiederholter, aber fruchtloser Mahnung
167 Die gesperrten Textteile im Original werden hier und in weiterer Folge kursiv wiedergegeben.
168 Innitzer, T. u. a.: Weihnachtshirtenbrief (1933), 1.
169 Ebd., 2.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353