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Kirche und Habitus im kulturellen
Gedächtnis242
Albecker, die Herzoge von Kärnten, das war alles da, und da hat er gesagt : schauen Sie, was
ich Ihnen da für Vorarbeit geleistet habe – winzig beschrieben, das hat mich aber schon sehr
beeindruckt, und da hab ich mir gedacht, das hätte ich ja niemals fertig gebracht.
Dann hat er wieder gesagt : Schauen Sie, es gibt eine ganze Menge zum Teil absurder
Legenden und Sagen und es gibt auch sehr viel, was Hand und Fuß hat. Und dann hat es
mich doch nicht mehr losgelassen ; er musste dann leider nach Rom zurück und ich hab
dann auf eigene Faust (begonnen [Anm. i. O.]), ich bin dann bis Merseburg und Regens-
burg und dann hinunter nach Krain und überall herum ; hab dann lange mit einem Univer-
sitätsprofessor, der in Merseburg gelebt hat, korrespondiert, und so ist nach und nach aus
der Sagen-Hemma eine wirkliche Gestalt geworden.93
Trotz der Argumentation des Geistlichen hat Viesèr zahlreiche Sagen und Legenden
in ihr historisches Grundgerüst integriert. So bevorzugt sie beispielsweise die legen-
darische Überlieferung der Begräbnisstelle des Wilhelm von der Sann in Gräbern im
Lavanttal, anstatt ihn, wie historisch belegt, vom geschassten Kärntner Herzog Adal-
bero von Eppenstein erschlagen zu lassen. Sagen wie jene vom Lindwurm oder von
der Schlangenplage in Friedlach94 finden ebenso Platz wie die stark legendarische
Überlieferung des Lebens der Hildegard von Stein, die Viesèr von Hemma selbst
erzählen lässt. So wird Viesèrs Roman zu einem prototypischen Beispiel kultureller
Gedächtnisprägung, die als Erinnerungsgeschichte weitaus einflussreicher ist als die
Realgeschichte. »Mit diesem Buch hat sich das Bild der Hemma bei den Kärntnern
und Kärntnerinnen geprägt und gefestigt, auch wenn es nicht den historischen Tat-
sachen entspricht.«95
Für die kirchlichen Verantwortungsträger sollte das Erscheinen des Romans auch
die Identifikation der Kärntner Bevölkerung mit »ihrer« Heiligen, die sie bald sein
sollte, stärken. Man erhoffte sich einen Gegenentwurf, eine »Counter Story« zur
aggressiven Literatur nationalsozialistischer Geistesprägung, eine christliche Alter-
native zum antiklerikalen Mainstream. Aus der Klostergründerin sollte eine christli-
che Landesmutter werden. Dem »völkischen« Zeitgeist konnte und wollte man aber
zugleich nicht entgegentreten. Aus Hemma sollte eine »deutsche Heilige« werden.
Im Blick auf einige Textpassagen sollen nun die zentralen Motive des Romans und
ihr Bezug zur »Kärntner Seele« erörtert werden.
93 Dolores Viesèr, zit. in Müller, W.: Dolores Viesèr (2010), 630.
94 Abret, H.: Regionalgeschichte (2010), 635.
95 Till-Spausta, B.: Hemma von Gurk (2006), 113.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353