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Kirche und Habitus im kulturellen
Gedächtnis254
›Dein Vater sitzt drüben und schreibt wie ein Kaplan. Ich mag ihm die Freude nicht ver-
derben, – Gott gönn es ihm ! Ich aber habe nicht geschrieben, ich habe geschlagen, und
Ordnung war. Keiner hat sich gemuckst. Ha, Hemma, das waren Zeiten !‹134
Rapoto steht hier für den martialischen Nazi-Kämpfertyp mit dem Willen zur Macht,
im Kontrast zum christlich-intellektuellen Vater Hemmas, der »schreibt wie ein Ka-
plan«. Mit dieser Deutungsfolie erscheint auch die folgende Textpassage in einem
neuen Licht :
Wie Herrn Rapotos Großvater, der Kaiser Arnulf, die Welt mit seinem Schwert zusammen-
und durcheinandergehauen habe, so wollte er selbst mit der Ostmark und den umliegenden
Reichen verfahren. Und manchem ist es leid, daß der Tod nicht auch Herrn Rapoto von
seiner blutigen Arbeit vorzeitig abberief.135
Schnell denkt man hier an die Kriegstreiberei der Nationalsozialisten. Der Name
»Ostmark« ist hier zwar auf die marcha orientalis des 10. Jahrhunderts bezogen, er-
weckt aber im Kontext der 1930er Jahre unweigerliche Assoziationen an den politi-
schen Sprachgebrauch jener Zeit. Dazu fügt sich, dass Rapoto auch ein Skeptiker der
frommen Pläne einer Klostergründung ist, die ja bereits Hemmas Großmutter Imma
beabsichtigte, aber am Widerstand des Erzbischofs von Salzburg scheiterte.
›Ja, das Kloster ! Sie solle es lassen !‹ Nun hatte Herr Rapoto wieder etwas zum Grämeln.
›Wenn sie schon nicht anders kann, so solle sie dem Erzbischof eine Stiftung machen, daß
er es irgendwo baue, und nicht ihm in Straßburg eine Abtei vor die Nase hinsetzen, die
noch dazu nur dem Päpstlichen Stuhle unterstellt sein soll. Das kann er doch nicht dulden !
Aber so sind diese frommen Frauen ! Da haben sie ihre eigenen Ideen und leben ganz in
himmlischen Gefilden und vergessen, daß es hienieden so was wie Grenzstreitigkeiten, Ho-
heitsrecht, Marktgerechtigkeit und dergleichen gibt.‹136
Auf die Entgegnung Hemmas, dass das Land noch weitgehend heidnisch sei – »unsre
Hörigen glauben lieber noch an den Belibog und an den Cernibog als an Gott Vater,
und sogar vom Saxan singen sie noch droben am Beliz«137 –, kontert Rapoto :
›Hörst du, wenn wir nicht gewesen wären mit unseren Schwertern, ich und mein Vater
Hartwig und dessen Vater Zwentibolch, so könntet ihr eure Klöster in die Luft bauen ! Wir
134 Viesèr, D.: Hemma von Gurk (1965), 44, H. i. O.
135 Ebd., 45.
136 Ebd., H. i. O.
137 Ebd., 46.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353