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Kirche und Habitus im kulturellen
Gedächtnis340
der Unmöglichkeit, stets bedingungslos loyal sein zu können, entstehen Strategien
der Anpassung. Der genannte Loyalitätsdruck kennzeichnet die vierte Dimension.
4. Die Dimension der Loyalität. Der starke Loyalitätsdruck nach innen, auf die ei-
gene Wir-Gruppe, ist ein Ergebnis der imaginierten oder realen Bedrohungsszena-
rien von außen. Die »Urangst« vor den Slawen, den Osmanen, den Ungarn und den
Franzosen sowie die Gipfelung dieser Bedrohungen im Mythos vom Abwehrkampf
wurden ausführlich dargestellt. Aus der Bedrohung der Heimat resultiert der Um-
stand, dass der Begriff der »Heimattreue« zum allgegenwärtigen Ausdruck im kultu-
rellen Gedächtnis der Zwischenkriegszeit wird. Die Heimat steht dabei als Synonym
für die Wir-Gruppe, die Treue zu ihr wird zentrale Forderung und Inbegriff des Lo-
yalitätsdrucks. Besonders stark kam dies in Zennecks Glaubensstreitern zur Sprache,
wo das Ringen ihrer Protagonisten und Protagonistinnen mit der Entscheidung, für
den Glauben die Heimat zu verlassen oder sich dem Konfessionszwang (äußerlich !)
zu fügen, in seiner gesamten Zwiespältigkeit dargestellt wird. Aber auch Perkonigs
Heimsuchung bearbeitet diesen Treuediskurs eindringlich, nicht zuletzt im Ringen
der Bäuerin mit dem Erpressungsversuch des slawophilen »Hetzpfaffen« und im
zornigen Vorwurf des Großvaters an den Gemeindediener, die Heimat verraten zu
haben. In diesen beiden Konstellationen spiegeln sich genau jene Beziehungsmus-
ter zwischen den idealisierten Kärntnern und Kärntnerinnen auf der einen und den
Vertretern von Behörden und Kirche auf der anderen Seite wider. So drückt sich die
Dimension der Loyalität zur Heimat zugleich im Ideal des heimattreuen Bauern
aus. Die Idealisierung des Bauernstandes ließ sich im kulturellen Gedächtnis bis zur
Fürsteneinsetzungszeremonie, den Bauernaufständen und den »Türkeneinfällen«
des Spätmittelalters zurückverfolgen. Bei Valvasors Interpretation der Ingo-Legende
begegnete sie ebenso wieder wie in fast allen ausgewählten literarischen Beispielen.
Auch die Kärntner Sagentradition stellt überwiegend Bauern in den Mittelpunkt hel-
denhafter Widerstandshandlungen gegen Fremdbesatzer wie Türken und Franzo-
sen. Zweifelsohne am stärksten kam diese Facette im Werk Switbert Lobissers zum
Vorschein. Sein Erfolg als Holzschnittkünstler verdankt sich zu einem guten Teil der
Idyllisierung des ländlichen Lebens, dessen derbe und romantisierende Darstellung
wohl nicht so sehr einer vermeintlichen Naivität des Künstlers angelastet werden
kann, sondern vielmehr jenem beschriebenen mentalitätsgeschichtlichen Aspekt ent-
springt.
Untrennbar von der Idealisierung des Bauernstands ist seine Einbettung in eine
intakte Naturlandschaft, die als Synonym für die Kärntner Heimat eine religiöse
Aufladung erhält. Sie kennzeichnet die fünfte Dimension.
5. Die Dimension der Religiosität. Auch wenn dem Kärntner Habitus eine Grund-
skepsis gegenüber religiösen Institutionen eignet, bedeutet das keineswegs, dass es
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353