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349Ausblick
So wie diese Entwicklung gehen auch andere innerkirchliche Entwicklungen in
Kärnten mit jenen der gesamtösterreichischen Kirche einher, etwa der Ausbau der
karitativen kirchlichen Einrichtungen am Beginn der Zweiten Republik oder die
Hinwendung zum Eventkatholizismus, als dessen Höhepunkt in Kärnten der Papst-
besuch Johannes Pauls II. 1988 in Gurk gelten kann, der unter großer medialer Auf-
merksamkeit auch das kulturelle Gedächtnis der Hemma von Gurk, genau 50 Jahre
nach ihrer Heiligsprechung, zu festigen vermochte.
Vor allem Initiativen rund um Hemma von Gurk stellen nach wie vor das Bemü-
hen der Kärntner Kirche um Präsenz im gedächtnispolitischen Diskurs Kärntens dar.
Zweifellos sind in diesem Diskurs gegenwärtig andere Elemente dominant. So wurde
in der Zweiten Republik gerade im Hinblick auf die vermeintliche Bedrohung »von
außen« der gedächtnispolitische Diskurs – neben den bestehenden, oben erörterten
Erinnerungstraditionen – mit der Auseinandersetzung um die Rolle der jugoslawi-
schen Partisanen am Ende des Zweiten Weltkriegs angereichert. Gegenwärtig ent-
steht der Eindruck, dass sich in Konkurrenz zum lange vorherrschenden Narrativ von
den plündernden und vergewaltigenden »Banditen« langsam Gegenerinnerungen an
den »antifaschistischen Befreiungskampf« der Partisanen etablieren. Im öffentlichen
Raum finden sich heute neben Abwehrkämpfer- und Gefallenendenkmälern mehr
und mehr Opfer- und Widerstandsgedenkstätten, wie zum Beispiel das Museum am
Peršmanhof bei Eisenkappel, wo man des Massakers an einer kärntner-slowenischen
Familie durch SS- und Polizei-Angehörige in den letzten Kriegstagen gedenkt. Auch
die Gedenkstätte an das KZ am Loibl, einem Außenlager des KZ Mauthausen, oder
Kunstprojekte wie jenes der Stolpersteine vor den Wohn- und Wirkstätten von NS-
Opfern können hier genannt werden. Solche Erinnerungsorte deuten also eine lang-
same Verschiebung des Gedächtnisdiskurses an.
Der Kärntner Kirche fällt die Positionierung innerhalb dieses emotional stark auf-
geladenen Feldes mitunter gar nicht leicht, wie etwa die mittlerweile regelmäßig auf-
keimenden Auseinandersetzungen um Gedenkveranstaltungen bei Bleiburg zeigen,
wo man unter Beteiligung der kroatischen Kirche den Opfern von Massenerschie-
ßungen durch die jugoslawische Volksbefreiungsarmee in den ersten Wochen nach
Kriegsende gedenkt. Es wäre lohnend, sich dieser Diskursverschiebung und der Rolle
der Kirche darin in weiterführenden Untersuchungen, fernab emotionalem »Enga-
gements«, zu widmen. Zwar orientiert sich diese Verschiebung auch am gesamtös-
terreichischen Diskurs, in dem sich spätestens seit der »Waldheim-Affäre« in den
1980er Jahren das offizielle Selbstverständnis, »Opfer« des Nationalsozialismus ge-
wesen zu sein, hin zum Bekennen der »(Mit-)Täterschaft« gewandelt hat. Vieles aber
deutet darauf hin – nicht zuletzt die historischen Entwicklungslinien, wie sie vorge-
stellt wurden –, dass der Kärntner Diskurs dennoch eine eigene Dynamik mit eigenen
Schwerpunkten und zumindest einer zeitlichen Verzögerung aufweist. Hier nun wäre
eine vergleichende Studie erhellend, wie auch so viele andere Gesichtspunkte die-
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Title
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Subtitle
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Author
- Johannes Thonhauser
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353